21.12.2020 Wintersonnenwende-Jyoti-Der Stern von Bethlehem

Die Wintersonnenwende

(Am Ende des Textes gibt es eine Audiodatei mit den Sanskritbegriffen)

Am 21.Dezember ist der sogenannte „kürzeste Tag“ des Jahres. Er hat natürlich wie alle anderen Tage 24 Stunden, aber in Berlin z.B. ist es nur 7:39 Stunden hell. Dann ändert sich die Umlaufbahn um die Sonne und die Tage werden wieder „länger“. Wir spüren es nicht unmittelbar, denn die Helligkeit ändert sich nur sehr langsam. An Silvester sind es immerhin 5 Minuten pro Tag mehr. Aber das Wissen um mehr Licht, um die Wende von der dunkleren Jahreszeit zur helleren, die Vorfreude auf die ersten Krokusse, zartes Grün und mehr Wärme hellt auch die Stimmung auf. Es geht „aufwärts“, heißt es. Dass der 21.Dezember zugleich der kalendarische Winteranfang ist, spüren wir weniger, zumal bei milden Temperaturen.

Licht und besonders das Sonnenlicht ist die Quelle allen Lebens. Deshalb wurde es von unseren Vorfahren, zum Teil als Gottheit (Sonnengott Ra in Ägypten), gefeiert und verehrt. In der Wahrnehmung der Menschen in der frühen Zeit zog sich die Sonne zurück, was lebensbedrohlich war. Die „Rückkehr“ der Sonne war deshalb ein Grund großer Freude und wurde gefeiert: Das Leben geht weiter- es stirbt nicht. Das Licht wurde „neu geboren“.

Im yoga gibt es den bekannten Sonnengruß surya namaskar. Ursprünglich war es ein Gebet an die Sonne und wird auch noch in dieser Form praktiziert.

Das Sonnenlicht hat zwei wichtige Aspekte für alle Lebewesen:
1. Die Helligkeit in Form von UVA und UVB-Licht. Nur mit Sonnenlicht ist die Photosythese, also Pflanzenwachstum, möglich. Wir Menschen brauchen das Licht z.B. für die Bildung von Vitamin D. Dieses Hormon regelt verschiedene lebenswichtige Abläufe auf der körperlichen Ebene z.B. für die Knochen (gegen Osteoporose), im Immunsystem, gegen bestimmte Krebsarten oder Diabetes Typ 1 (netdoktor). In den letzten Jahren sind immer mehr auch die Risiken von zu viel Strahlung bekannt geworden.
Auf der psychischen Ebene wirkt es auf die Stimmungsverläufe. Hier sprechen wir davon, dass das Hormon stimmungs-aufhellend wirkt und benutzen für den inneren Zustand den Begriff „hell“. In Sanskrit heißt es übrigens auch hell (sattva) und dunkel (dukha) für Zustände des Geistes.
2. Licht spendet neben der Helligkeit auch Wärme. Selbst eine Kerze gibt noch Wärme ab. Alle Lebewesen brauchen Wärme- körperlich und auch psychisch. Wärme vermittelt Geborgenheit. Mit unseren beheizten Wohnungen, Häusern, Autos nehmen wir es als selbstverständlich wahr. Infrarotlicht ist mit seiner wärmenden Strahlung auch für seine heilende Wirkung bekannt.

Jyoti- das innere Licht (YS 1.36; 3.32)

Das Licht als Quelle des physischen Lebens ist in uns Menschen tief verankert. Im übertragenen Sinne wird es im Yoga verwendet, denn als universelle Erfahrung spüren wir instinktiv die Bedeutung.
Mit jyoti wird eine Quelle von Erkenntnis beschrieben. Die Quelle liegt nicht außerhalb, sondern in uns. Das innere Licht ist immer da und unabhängig von äußeren Bedingungen. Diese Quelle ist die Erkenntnis, die jede Täuschung (avidya YS 2.3-2.5) aufhebt. Die Täuschung über uns selbst ist die Wurzel allen Übels und allen Leids. Das Ziel ist also, diese Täuschung zu überwinden. Den Zustand der Erkenntnis nennen wir dann auch folgerichtig „Erleuchtung“. In diesem Zusammenhang kann man auch den Heiligenschein auf Bildern interpretieren. Er ist eine optische Darstellung, dass es sich um einen Menschen in einem besonderen Bewusstseins-oder Erkenntniszustand handelt. Der Mensch hat eine besondere „Ausstrahlung“.

Im Alltag machen wir die Erfahrung, dass wir leicht merken (erkennen passt hier nicht), wenn andere sich täuschen (lassen). Aber Achtung: Beruht unsere Meinung vielleicht auf einer Täuschung unsererseits? Ein solches Urteil sollten wir daher überprüfen und nicht leichtfertig fällen. Bei uns selbst festzustellen, dass wir uns getäuscht haben, ist ungleich schwerer. Zum einen gibt unser Ego das ungern zu. Zum anderen gehört es zur Natur der Täuschung, dass sie eben nicht auf den ersten Blick als solche zu erkennen ist. Es heißt sehr treffend in unserer Sprache “ ich habe mich (selbst) getäuscht“. Wir wissen also, zumindest unbewusst, dass die Ursache in unserem Geist selbst liegt-nicht von außen kommt. Unser Geist hat die Fähigkeit, sich selbst zu täuschen. Warum tut er das? Um eine unangenehme, unbequeme, schmerzhafte Wahrheit nicht fühlen zu müssen. Oberflächlich und kurzfristig betrachtet ist es eine Lösung. Auf längere Sicht hat Täuschung oft dann genau diese unerwünschten Wirkungen.

Unser Geist hat auch die Fähigkeit zu erkennen. Wenn sich dadurch eine Täuschung auflöst, nennen wir das Ent-Täuschung. Statt uns darüber zu freuen mehr Klarheit gewonnen zu haben, sind wir oft frustriert, ärgerlich oder traurig, weil die Wirklichkeit nicht unserer Täuschung entspricht. Deshalb sagt das Yogasutra, dass die Täuschung (avidyā) die Quelle unseres Leids ist. Wir leiden während wir uns täuschen und wir leiden (zunächst), wenn wir die Täuschung entlarven. Um dauerhaft und vollständig das Leid in unserem Leben zu beseitigen, müssen wir den Täuschungen in unserem Leben auf die Schliche kommen.

Das ist keine neue Erkenntnis, sondern eine mehr als 2000-jährige Erfahrung. Der Erfahrungsweg wird im Yogasutra beschrieben. Durch dauerhafte und unablässige (abhyāsa) Praxis von svādhyāya (Selbsterforschung) erkennen wir mehr und mehr die einschränkenden und leidvollen geistigen Gewohnheiten (klesa) mit denen wir uns täuschen. Wenn Täuschungen erkannt werden, verschwinden sie, wie Dunkelheit verschwindet, wenn ein Licht angezündet wird. Unser „Job“ besteht darin, unsere Täuschungen zu erkennen. Wir müssen sie nicht bekämpfen, denn sie lösen sich als Folge der Erkenntnis selbst auf. Mit jeder Erkenntnis über uns verändern wir uns, transformieren wir uns selbst. Selten geschieht dies in Form einer einzigen Erfahrung, wie Menschen mit Nahtoderfahrungen dies berichten. Für alle anderen ist es ein langer Weg. Ein Weg der sich lohnt, denn es gibt dieses innere Licht, es ist schon da.

Der Stern von Bethlehem

Auch in der christlichen Tradition ist es ein Licht, das die Menschen führt: Der Stern von Bethlehem. Es soll eine sehr seltene Sternenkonstellation gewesen sein, wie die, die am 21.12.2020 um 19:21 Uhr bei uns am südlichen Himmel zu sehen ist. Dann stehen Jupiter und Saturn so nahe beieinander, dass sie wie ein einziger heller Stern erscheinen und wir sie mit bloßem Auge am Südhimmel erkennen können. Ob es damals wirklich so war, wer weiß.

Die Bibel benutzt jedenfalls das Bild des Lichts für eine Erkenntnis, die außerordentlich und mit unseren Worten nicht zu beschreiben ist. Mit Jesus wurde ein Mensch mit einem besonderen Bewusstsein geboren. Dies nannte/nennt man Gottesbewusstsein. Zeit seines Lebens hat er die Menschen auf ihre Täuschungen hingewiesen und sich sowohl bei den religiösen Führern (Pharisäer) als auch den politisch Mächtigen (Römer) sehr unbeliebt gemacht. Die neue Form von Bewusstsein, auf die er hingewiesen hat, bedrohte deren Macht. Frei von der Täuschung, das Leben und das persönliche Glück sei abhängig von äußeren Bedingungen, war das Volk nicht mehr manipulierbar, damit nicht mehr zu unterdrücken oder auszubeuten. Also wurde Jesus, der Überbringer dieser „Frohen Botschaft“, verfolgt, diffamiert und lächerlich gemacht (Dornenkrone), gefoltert (am Kreuz) und zur Abschreckung für alle anderen öffentlich hingerichtet. Das Ziel war, dieses bedrohliche Bewusstsein auszulöschen, indem man den Menschen tötet- wie wir wissen, war das erfolglos. Der „Privatmensch“ Jesus wäre sicherlich eines solchen Aufwandes nicht wert gewesen.

Ein ähnliches Schicksal erlitten später die Mystiker:innen. Auch sie wurden verfolgt und umgebracht. Übrigens, es fällt auf, dass es aus Indien oder Asien keine Berichte von Verfolgungen gibt, sei es Buddha, Konfuzius oder andere Meister. Deshalb wurde das Bewusstsein als gefährlich eingeschätzt: 1. Es macht uns Menschen absolut unabhängig und frei. 2. Es gibt uns eine solche Kraft, dass die Angst uns nicht mehr im Griff hat. In der Bibel wird berichtet, dass Jesus sich sehr wohl der Gefahr bewusst war, in der er sich befand. Er wusste auch, dass ihn jemand denunzieren würde (Judas), oder wie wir heute sagen würden, dass es einen bezahlten V-Mann in seiner Bewegung gab. Jesus hatte große Angst vor dem, was ihm bevorstand. Ganz allein auf dem Ölberg betete er zu Gott, der einzigen Kraft, die ihn vor seinem Schicksal bewahren konnte, dass „der Kelch“ an ihm vorüber gehen möge. Er war nicht der „coole“ Held, Superman, sondern ganz menschlich. Vielleicht hat er auch gefleht und gebettelt. Aber dieses Bewusstsein hat ihm auch die Kraft gegeben, nicht zu „kneifen“, zu fliehen (was wir wahrscheinlich getan hätten), sondern sein Schicksal, falls notwendig, und seinen Weg anzunehmen.

Gibt es vielleicht in uns selbst auch etwas, das sich vor diesem Zustand fürchtet und lieber in der Täuschung bleibt? Halten wir auch deshalb so gern an diesen Täuschungen fest, weil sie uns sicherer erscheinen als dieser unbekannte, fremde Zustand? Könnte der gefährlich für uns (unser Ego) werden?

Aber: Dieses Bewusstsein kann man nicht töten. Es stirbt nicht mit dem Tod des Menschen. Das wiederum lehrt die Geschichte von der Auferstehung. An dieser Stelle soll es nicht darum gehen, die historische Wahrheit zu diskutieren, sondern vielmehr darum, dass die Bibel sagt, dieses Bewusstsein lebt weiter und es wirkt weiter. Wie mächtig Menschen auch sind, sie können das Bewusstsein nicht vernichten. Im Gegenteil: Weil gerade diese Geschichte, ob Metapher oder real, deutlich macht, wie unsterblich dieses wahre Wissen ist, hat es sich immer mehr- trotz aller Bedrohungen- ausgebreitet und ist auch nach 2000 Jahren noch in der Welt.

Es ist auch interessant, welche Menschen den Stern, also das Licht wahrgenommen und erkannt haben: Es waren nicht die Menschen, die allzu sehr mit sich  und mit ihrem Alltag beschäftigt waren, um sich Fragen nach dem Warum und Wie des Lebens zu stellen. Es waren auch nicht die Theologen (Pharisäer, Priester), die damit beschäftigt waren, Regeln aufzustellen, zu befolgen und zu überwachen. Es war nicht das „Bildungsbürgertum“, das zu aufgeklärt war, um an derlei Erscheinungen zu glauben.
Es waren Menschen, die nicht permanent beschäftigt waren, sondern Zeit hatten, die Natur zu beobachten und mit ihr verbunden waren. Es waren „bildungsferne“ Menschen, die Hirten, die zuerst das Licht sahen- und ihm folgten. Sie wurden nicht durch den Ballast von Faktenwissen daran gehindert, zu erkennen.
Und es waren die „Weisen“ aus dem Morgenland- nicht zu verwechseln mit den „Intellektuellen“. Es waren weise Menschen, die Antworten auf die grundlegenden Fragen des Universums und der existenziellen Fragen gesucht haben. Und die jetzt erkannten, dass sie, wenn sie diesen Weg verfolgten, auf den sie geführt wurden, die Antworten auf ihre Fragen erhalten würden. Auch sie waren nicht so sehr mit dem Alltag beschäftigt, um das Zeichen, den Stern, zu übersehen. Und sie waren weise genug, nicht durch Wissen verblendet, um intuitiv, d.h. voller Vertrauen, sich auf den langen Weg zu machen. Sie kamen aus dem Morgenland, also dem Osten, wo die Sonne morgens aufgeht. Vielleicht waren sie Yogis…

Das Yogasutra spricht auch von der Fähigkeit des intuitiven Vertrauens, shraddhā (YS 1.20) in den Weg, auch wenn er unbekannt ist und von Hingabe, isvarapranidhāna (YS 2.1), der Fähigkeit sich einzulassen auf die innere Führung.

Es gab und gibt zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten Menschen mit der gleichen Sehnsucht: Zu erkennen, was Existenz ist, was die letztendliche Wahrheit ist, wie alles zusammenhängt, wer sie selbst sind, über die Einschränkungen und dem Leid hinauszuwachsen. Die Wege ähneln sich-ob Christentum, Buddhismus, Yoga und andere. Im Abendland war es der Ansatz mit der Weihnachtsgeschichte. Und noch etwas verbindet den abendländischen mit dem Yogaweg und dem Buddhismus: Das wesentliche Thema ist die bedingungslose Liebe oder wie es im Yogasutra heißt, die bhāvana.

So wie es ab morgen draußen wieder heller wird, können wir mit Yoga auch das innere Licht, die innere Flamme unseres Bewusstseins mehr und mehr strahlen lassen.

Ich wünsche allen treuen und neuen Lesern/*innen der Yogatipps ein helles, strahlendes Weihnachtsfest! Sowohl innen als auch außen.

Datei mit Aussprache der Sanskritbegriffe