Kriya Yoga – Der Dreiklang Leidenschaft-Selbststudium-Hingabe: 1. Leidenschaft

Foto: Pixabay/RedHeadsRule

Das zweite Kapitel des Yogasutra, das die Überschrift „Sadhana pada“ trägt, beginnt mit Kriya Yoga. Pada ist Pfad oder Weg und sadhana ist die Übung. In diesem Kapitel wird der praktische Weg beschrieben, notwendige Voraussetzungen, Fähigkeiten, die der Übende entwickelt, Schwierigkeiten auf dem Weg und der Gewinn oder die Belohnung, die daraus erwächst, wenn man diesen Weg kontinuierlich geht.

Yoga wird ja am Anfang des ersten Kapitels (YS 1.2) als das zur-Ruhe-kommen der Gedanken und Gefühle (cittavritti nirodha) beschrieben. Kriya bedeutet in diesem Zusammenhang Handeln. Kriya Yoga beschreibt also das, was der Übende tun oder lassen, wie er sich verhalten sollte, damit die Gedanken und Gefühle zur Ruhe kommen und der Bewusstseinszustand von samadhi erreicht wird.

Um das Ziel zu erreichen, braucht der Übende dreierlei:
– Tapas – Feuer, Leidenschaft
– Svadhyaya – Fähigkeit zur Selbstreflexion und -erkenntnis
– Isvarapranidhana – Vertrauen in den Weg und das Ziel, Hingabe
Diese Drei sind die Bestandteile von Kriya Yoga.

Der Yogaweg ist lang – ein Leben lang. Am Anfang steht die Flamme der Begeisterung über die neuen Erfahrungen und Möglichkeiten, die sich auftun. Wenn neue Erfahrungen ausbleiben, nach einiger Zeit erste Schwierigkeiten auftauchen, es Stillstand oder sogar Rückschritte gibt, wenn Zweifel entstehen kann es daher zum Abbruch der Yogapraxis kommen. Gesundheitliche oder zeitliche Schwierigkeiten oder Ereignisse im Leben, die die ganze Energie beanspruchen, aber auch schmerzhafte innere Prozesse können die regelmäßige Praxis behindern oder ganz zur Aufgabe des Ziels führen.

Deshalb ist dieses innere Feuer – tapas –  erforderlich. Man muss für Yoga „brennen“, um trotz oder wegen der Herausforderungen sein Ziel nicht aufzugeben. Das innere Feuer trägt auch in schwierigen Zeiten. Am Anfang des Weges ist es die Flamme der Begeisterung. Diese neuen Erfahrungen können das innere Feuer der Leidenschaft entzünden, dass dann auch langfristig wirkt. Leidenschaft entsteht, wenn man einem Weg, einer Methode oder einem Ziel einen Sinn und eine Bedeutung gibt. „Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie“ (Philosoph F.Nietzsche). Es geht im Yoga nicht darum, etwas zu ertragen. Das „Warum“ führt zur Leidenschaft, dran zu bleiben, wenn es unbequem oder lästig oder anstrengend ist.

Tapas braucht der Übende auch, um den vielen Ablenkungen im Alltag zu widerstehen, die ihn/sie am Üben hindern können. Viele Aufgaben, Interessen und die Gemeinschaft mit Menschen haben eine Bedeutung und sind wichtig. Es kann also immer Gründe geben, warum „keine Zeit“ für Yoga da ist. Wie kann man den Alltag und Yoga im Sinne von dem Zur-Ruhe-kommen des Geistes in Einklang bringen? Auf welchem Platz der Liste steht Yoga? Wofür man „brennt“, gewinnt die Priorität und schwächt die Ablenkungen. Was wir leidenschaftlich gern tun, dem widmen wir auch auf lange Sicht Zeit und geben ihm Raum. Andernfalls bleibt es beim Vorsatz.

Es ist das Gegenteil von Pflichterfüllung. Wenn wir unsere Yogapraxis nur als Pflicht betrachten, wird es schwer, dabei zu bleiben. Wenn wir die Übungen – asana, pranayama, dhyana – nur mechanisch ohne Herzblut ausfüllen, weil wir glauben, wir „müssen“ sie machen, werden wir nicht durchhalten, sondern irgendwann aufgeben. Tapas kommt von innen, es ist unser innerster Wunsch, den Yogaweg zu gehen, herauszufinden, wer wir wirklich sind und was diese Welt ist. Vielleicht sind wir aus verschiedenen Gründen, von denen einige im Yogasutra behandelt und Gegenstand zukünftiger Erörterungen sein werden, nicht immer gleich motiviert, aber tapas ist stärker.

Kriya Yoga bzw. tapas steht in direktem Zusammenhang mit dem Begriff abhyasa. Im ersten Kapitel des Yogasutra (YS 1.13) weist Patanjali auf die Notwendigkeit der Beharrlichkeit hin. Um das Ziel trotz aller Schwierigkeiten und Ablenkungen zu erreichen, bedarf es des beharrlichen, dauerhaften und regelmäßigen Übens. Und das wiederum braucht tapas.

Tapas, Feuer, steht auch für einen weiteren inneren Prozess. Feuer besitzt eine große Kraft hat. Es kann Altes zerstören, aus dem dann Neues wachsen kann. Feuer hat Transformationskraft. Unsere alten Muster, Gewohnheiten und Überzeugungen sind stark. Das Feuer der Transformation hat die Kraft, sie in neue klare und freie Einsichten zu wandeln.
Es ist also kein Zufall, dass das 2.Kapitel über den Yogaweg mit tapas – der Fähigkeit, Yoga mit Leidenschaft zu leben, beginnt.