Meditation ist wie Gärtnern

In einem Garten gibt es üblicherweise viele verschiedene Pflanzen. Manche wurden ausgesät oder gepflanzt, andere wurden als Samen durch den Wind oder durch Vögel oder Insekten in den Garten gebracht. Sie wachsen dort nun und manche von ihnen sind unerwünscht. So ist es auch mit unseren Gedanken und Gefühlen.

Dazu folgende Geschichte von zwei Kindern, die sich aufmachten, die Welt kennenzulernen:

Auf ihrem Weg sahen sie auf beiden Seiten ein Haus mit Garten, doch beide waren grundverschieden.
Vor dem einen Haus sahen sie einen Mann, der ächzte, stöhnte und schnaubte, während er damit beschäftigt war, das Unkraut herauszuziehen. Trotzdem sah der Garten, in dem schöne Blumen wuchsen, ungepflegt aus.

Vor dem anderen Haus saß auf der Terrasse, umgeben von herrlichen Blumen, ein Mann und strahlte. Er lud die Kinder zu sich ein, während der andere Mann viel zu beschäftigt war, um sie überhaupt zu bemerken. Nach einer Weile fragte eines der beiden Kinder, warum sein Garten so schön sei. Ihr Gastgeber erklärte es ihnen. Vor Jahren versuchte er, seinen Garten von Unkraut frei zu halten, indem er immer alles Unkraut heraus riss, bis er merkte, dass er nie fertig wurde, weil immer Samen zurück blieb. An diesen Stellen wuchs immer wieder von neuem Unkraut. Dann kam ihm die Idee, nach Blumen zu suchen, die das Unkraut verdrängen. Diese Blumen streuten ihrerseits Samen und verdrängten nach und nach das Unkraut. Seither halte sich der Garten selbst unkrautfrei.

Mit den Gedanken ist es ganz ähnlich. Unglückliche Gedanken tragen den Samen und damit weitere unglückliche Gedanken in sich. Wenn man sie bekämpft, indem man sie verdrängt oder weg-rationalisiert, werden sie um so stärker und kommen immer wieder. Was kann man tun? Die Gedanken nicht stärken, indem man ihnen keine Aufmerksamkeit schenkt. Und dann kann man sich mit positiven Dingen, sogar dem gegenteiligen Gedanken und Gefühl beschäftigen (im Yogasutra: pratipaksa bhavana YS 2.33).  Auch die positiven Gedanken tragen Samen in sich und vermehren sich. Da wir nicht zwei Gedanken gleichzeitig denken und nicht zwei Gefühle gleichzeitig fühlen können, haben die negativen Gedanken immer weniger Raum. Die negativen Gedanken werden weniger wichtig. Sie verlieren mehr und mehr ihre Bedeutung.

Vielleicht verhalten wir uns wie der Mann in dem ersten Garten und wollen unser geistiges Unkraut ausrupfen und bekämpfen. Und vielleicht haben wir erfahren, dass wir so unser Ziel eines glücklichen und entspannten Lebens nicht erreichen können.

In der Meditation nehmen wir unser geistiges Unkraut wahr, aber wir machen nichts damit. Wir machen stattdessen positive Erfahrungen und erleben so, dass sich unsere innere Haltung und unsere Einsicht ohne einen inneren Kampf ändern können.
Nun ist es manchmal so, dass wir meinen, wenn die größten „Pflanzen“ (Gedanken) verschwunden sind, nun sei alles gut. Doch dann werden kleinere Pflanzen (Gedanken) sichtbar, die von den großen verdeckt waren. Wir waren uns dieser Pflanzen bzw. Gedanken und Gefühle nicht bewusst, weil wir sie nicht wahr genommen haben. So nähern wir uns in der Meditation Schritt für Schritt von den vordergründigen zu den tiefgründigen Gedanken, Gefühlen und Bedürfnissen. Wie ein richtiger Garten braucht auch unser Geist regelmäßig Aufmerksamkeit („abhyasa“), so dass die positiven Gedanken „aufblühen“ können („sattva“). Die schönen Pflanzen in unserem Geist sind die Erkenntnisse, die Wahrheit über das Leben, die Welt und uns selbst. Dann gibt es keinen Nährboden („avidya“) für unglückliche Gedanken und Gefühle. Sie heißen im Yoga „klesa“. Sie wachsen und vermehren sich, wenn in einem Bereich die Erkenntnis, die Wahrheit fehlt. Je mehr Klarheit wir erlangen, desto geringer werden sie („vairagya“).

(In Klammern die passenden Begriffe aus dem Yogasutra)
(Motiv nach „Der Weg ins Glück“ von Bernard Benson, Wilh.-Heyne-Verlag München, S. 41ff.)