Im Yoga steht der Umgang mit dem Geist im Mittelpunkt auf dem Weg zum Glück und zur Erkenntnis. In unserem Alltag wird Geist zuerst mit dem Verstand, den Gedanken, der Logik verbunden. Im Yoga gehören auch die Gefühle zum Geist. Genau genommen gibt es keine Trennung. Oder kennen Sie Gefühle ohne Gedanken oder umgekehrt Gedanken ohne ein Gefühl?
Der Yogaweg ist ohne Zugang zu den Gefühlen nicht möglich. Es wird unterschieden zwischen den veränderlichen Gefühlen wie Freude, Liebe, Wut, Trauer, Enttäuschung, die den Bedürfnissen unseres Ego entspringen und den tiefen, unveränderlichen Gefühlen, die unser wirkliches Wesen sind. Die angenehmen Gefühle der Liebe und Freude haben immer auch einen leidvollen Anteil in sich, weil sie nicht von Dauer sind, wir sie aber immer „haben“ möchten. Deshalb bringen alle Gefühle aus dem Ego Unruhe in unseren Geist, stören unseren inneren Frieden und verwickeln uns in Aktivitäten, um wieder in diesen Zustand zu kommen. Durch diese stetige Beschäftigung verpassen wir den Zustand von dauerhaftem Glück, der tief ins uns vorhanden ist.
Der Yogaweg zeigt viele verschiedene Techniken, mit denen der Geist soweit zur Ruhe kommen kann, um wieder Zugang zum dauerhaften inneren Frieden, der vollkommenen Erkenntnis und des Glücks zu finden. Dazu gehören die asanas und verschiedene Atemtechniken, das Zurückziehen der Sinne und die Meditation.
Eine weitere Möglichkeit hat mit den bhavanas, den Gefühlen von Liebe /Freundlichkeit/liebende Güte, Mitgefühl, Mitfreude und Verzeihen zu tun. Dies ist aber keine mentale Technik wie z.B. positives Denken und die Formulierung von Glaubenssätzen, sondern ein Prozess. Wenn wir diese Gefühle mit einer bestimmten Qualität in uns wachrufen und wahrnehmen können, bringen sie unseren Geist zur Ruhe. Entscheidend ist, dass diese Gefühle unseren alltäglichen, bekannten Gefühlen sehr ähnlich sind, sie aber nicht unserem Geist, sondern unserem Wesen entspringen.
Das Gefühl Liebe hat im Sprachgebrauch oft mit Romantik zu tun. Wenn die Romantik geht, geht oft auch das Gefühl. Beständiger ist das Gefühl der Liebe zu Eltern oder Kindern, zu dem Haustier, auch zu einem Land. Diese Form von Liebe ist davon abhängig, dass es ein „Objekt“ gibt. Und wenn das Objekt verschwunden ist entsteht das Leid. Wir wollen festhalten. Zudem machen wir unser Glück nicht nur von dem Objekt an sich abhängig, sondern von dessen Verhalten. So kommt und geht diese romantische Liebe. Die Literatur und die Medien sind voll von diesen Dramen. Außerdem ist diese Liebe immer auch exklusiv oder selektiv, denn wir schließen andere Objekte von unserer Liebe aus.
Maitri im Yogasutra meint eine andere Qualität von Liebe. Sie ist Teil unseres Wesens. Wir sind Liebe. Die Erfahrungen in unserem Leben haben dazu geführt, dass wir uns davon entfernt haben und nicht einmal mehr davon wissen. Wir haben früh in unserem Leben gelernt, was Liebe ist, z.B. in dem uns Aufmerksamkeit geschenkt wurde, wenn wir „brav“ waren und sie uns entzogen wurde, wenn wir „böse“ waren. Für uns war Aufmerksamkeit eine Form von Liebe. Und so haben wir Liebe an Verhalten und Objekte geknüpft. Aus dem früheren Zustand von Liebe wurde eine deformierte Form.
Mit Yoga ist der Weg zu diesem Ursprung zurück möglich. Es ist ein unter Umständen langer Prozess. Wir können es uns nicht einfach nur mental vornehmen. In diesem Prozess können wir mehr und mehr diesen Urzustand von Liebe wahrnehmen. Wir spüren diesen Zustand unabhängig davon, ob jemand da ist oder wir allein sind. Wir begegnen in diesem Zustand allen Wesen gegenüber mit unvoreingenommener Freundlichkeit und Liebe. Und zu diesen Wesen gehören auch wir selbst. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ heißt es in unserem abendländischen Kontext. Dieser Satz wurde oft benutzt, um ein bestimmtes Verhalten einzufordern. Man soll seinen Nächsten lieben als christliches Ideal. Vernachlässigt wurde hingegen der zweite Teil: „wie dich selbst“. Dieser Teil ist aber entscheidend: Ohne Selbstliebe oder Selbstannahme ist es nicht möglich, einen anderen Menschen anzunehmen oder zu lieben. Die Selbstliebe ist der Anfang jeder Liebesfähigkeit.
Alle Wesen unterschiedslos zu lieben, bedeutet nicht, jedes Verhalten zu tolerieren. Zur Selbstliebe gehört es auch Grenzen zu setzen oder sich zurück zu ziehen, falls nötig. Dieses geschieht aus der Haltung von maitri aber ohne innere Unruhe wie z.B. Wut. Es ist ganz natürlich. Unser Verhalten wird sich ganz selbstverständlich mit ändern.
Diese Liebe ist auch nicht abhängig von unserer Stimmung.
In diesem Zustand von maitri, der einhergeht mit tiefer innerer Ruheund einem Gefühl von Nachhausekommen wird verglichen mit dem Himmel, der immer da ist. Unsere alltäglichen Gefühle und Gedanken sind die Wolken, die am Himmel vorüber ziehen und ihn verdecken. Mit Yoga und dem Prozess der bhavana lösen sich die Wolken mehr und mehr auf und der klare Himmel wird sichtbar.
Wir verströmen unsere Liebe wie eine Blume, die ihren Duft unterschiedslos an alle, bedingungslos und absichtlos verströmt, weil es ihr Wesen ist.
So kann unser Yogaweg ein Weg der Heilung und Selbstheilung sein.