(Am Ende des Textes gibt es eine Audiodatei mit den Sanskritbegriffen)
Sauca ist das erste der niyama. Es ist für die folgenden niyama – santosa, svādhyāya, tapas, isvarapranidhāna- von ebenso grundlegender Bedeutung wie ahimsa für die yama.
Für sauca gilt wie für alle anderen niyama, dass sich die Bedeutung nur im Zusammenhang mit dem ganzen Text des Yogasutra erschließt. An dieser Stelle einige wichtige Stichworte zur Einführung. Ausführlich finden Sie die Erläuterung in dem Beitrag Die niyama
- Ziel von yoga und damit der niyama ist die Entwicklung von innerer Ruhe (nirodha, YS 1.2) und Klarheit im Geist (viveka, YS 2.26/3.54/4.26)
- Dieser ruhige geistige Zustand ist notwendig, um den Bewusstseinszustand von samadhi, kaivalya, yoga (YS 1.46, 2.25), wie das allumfassende Bewusstsein und die innere Freiheit in Sanskrit heißt, erfahren zu können
- Die niyama beschreiben jeweils einen Aspekt eines inneren Zustands des ganzen Menschen: körperlich, kognitiv und psychologisch
- Der Ausdruck im Handeln ist das Ergebnis der inneren Haltung, nichts „Aufgesetztes“, d.h. die Handlung ist authentisch. Sonst ist es kein niyama
- Die niyama sind keine Einschränkungen sondern befreien von inneren Begrenzungen
- Die niyama sind Teil des praktischen Übungsweges (sādhana pāda), keine Theorien oder moralischen Vorschriften
Der Begriff sauca im Yogasutra
Der Begriff kommt von suci, das bedeutet „rein“. Sauca wird mit Reinheit übersetzt. Mit dem Thema befassen sich in direktem Zusammenhang zwei Verse (sutren):
YS 2.40 Sauca ist eine geistige Haltung von jugupsā und asamsarga. Das Wort jugupsā wird (teilweise noch heute) drastisch mit Ekel oder Widerwillen übersetzt. Das würde bedeuten einen Widerwillen oder Ekel dem eigenen Körper gegenüber zu entwickeln. Das kennen wir auch aus religiösen Traditionen, in denen der Körper als Hort der Sünde betrachtet wird und seine Bedürfnisse (in der katholischen Kirche) zu beichten sind oder Menschen sich selbst verletzt haben, um zu büßen. Als Kinder haben wir vielleicht gesagt bekommen, dass es unreine Stellen an unserem Körper gibt, die man bedeckt und nicht berührt.
Auch Asketen in Indien haben ihren Körper durch brachiale Techniken zu unterwerfen versucht. Der Körper mit all seinen Bedürfnissen, Wünschen und Beschwerden wurde als Hindernis auf dem Yogaweg betrachtet.
Asamsarga bedeutet Abstand von anderen. Diese wörtliche Übersetzung macht im Zusammenhang mit dem ganzen Text keinen Sinn. Wie soll eine solche Einstellung zu sich selbst und anderen zum Zustand der Erkenntnis führen?
YS 2.41 Das Ergebnis von sauca
1. Das Ergebnis der Reinheit ist sattva suddhi- ein gereinigter und geklärter Geist. Wie funktioniert ein geklärter Geist (manas)? Er ist „hell“ ( saumanas), im Sinne von positiv, optimistisch. Die Unreinheiten, die ihn „verdunkeln“ oder herunterziehen haben sich aufgelöst. Diese Unreinheiten sind die klesa. Es ist interessant, dass das Ziel nicht körperlicher sondern geistiger Natur ist. Das passt wiederum in den Kontext zu dem sutra 1.2, in dem Yoga als Zustand eines ruhigen Geistes beschrieben wird. Aber wie können Ekel und Abstand in der beschriebenen Weise zu diesem Zustand führen?
2. In dem Zustand von saumanas, dem positiven Zustand beherrschen uns die Sinne nicht mehr (indriya jaya). Wir sind frei von dem Zwang sinnlicher Wünsche und den Stimmungsschwankungen die sie immer aufs Neue produzieren. Sie sind noch da, aber sie beherrschen uns nicht mehr. Unser Geist ist zunehmend ausgerichteter (ekagra: eka=eins gra=ausgerichtet- konzentriert)
3. Das wiederum verschafft uns die Fähigkeit (yogyatva), unser wahres Selbst (ātma) zu erkennen (darsana=Schau/sehen). Sauca selbst führt noch nicht direkt zu Erkenntnis, sondern schafft die Voraussetzung, indem der Geist ruhig wird für die Meditation und den Weg der Erkenntnis.
Sauca im Zusammenhang des Yogasutra
Der Kommentator Vyasa interpretiert sauca nicht als Ekel, sondern als Abstand zum Körper und sauca als Reinigungsprozess. Diese Auslegung macht Sinn:
- Im YS 2.28 heißt es, dass der achtgliedrige Pfad, zu dem die niyama gehören, die Unreinheiten (asuddhi) reduzieren bzw. beseitigen sollen, damit das Wissen erkannt werden kann (cittasuddhi). Der Reinigungsprozess auf allen Ebenen ist die Grundlage aller Yogapraktiken.
- Die Unreinheiten (asuddhi), die zu beseitigen sind werden in zwei Sutren benannt: Im YS 1.30 sind es die neun antaraya, körperliche und psychisch-mentale Störungen und im YS 2.3 sind es die fünf klesa, geistig-emotionale Blockaden
- Im Zusammenhang mit ahimsā (YS 2.35), dem 1.yama behandeln wir den eigenen Körper so, dass wir ihn nicht schädigen. Ein Ekel oder Widerwille passt nicht dazu.
- Ablehnung (dvesa) des Körpers und Anhaftung (rāga) an den Körper sind Ausdruck von Blockaden im Geist (klesa)
Sauca in Bezug auf den Körper
1. Körperliche Reinheit- Pflege
Wir wissen, wie wichtig Hygiene für unsere körperliche Gesundheit ist. Auf der körperlichen Ebene bedeutet sauca, dass wir unseren Körper so pflegen und von Verunreinigung säubern, dass er gesund bleibt. In unserem Umfeld mit Zugang zu sauberem und auch warmen Wasser, zu Seife und Pflegemitteln ist das leicht. Nicht so für eine Milliarde Menschen, die nicht einmal genug sauberes Trinkwasser haben, geschweige denn Wasser um sich zu reinigen.
2. Körperliche Reinheit- Nahrung
Die Art und Weise und Menge der Nahrung, die wir zu uns nehmen, wirkt auf die Funktionsweise unseres Körpers. Wir spüren es daran, wie wir uns nach dem Essen fühlen und wieviel Energie wir generell im Alltag haben.
Zu sauca zählt deshalb auch eine „reine“ Nahrung- also einerseits eine Ernährung, die den ganzen Organismus ausreichend und in der richtigen Form und Menge versorgt und die andererseits Nahrung meidet, die die inneren Organe, Sinnesorgane, die Gewebe und Knochen schädigt. Es bedarf – für einen gesunden Menschen- keinerlei besonderer Ernährungsform oder Diät. Gesunde und nährstoffhaltige Mittel zum Leben- deshalb heißen sie Lebensmittel- in angemessener Form und Menge stellen sicher, dass der Körper optimal funktionieren kann – und damit auch der Geist. Jede Störung des Körpers stört die Ruhe und Klarheit im Geist. Wenn wir uns krank fühlen, erleben wir uns selbst und die Welt unter dem Einfluss der Symptome- seien es Kopf-oder Magenschmerzen oder andere Beschwerden. Alles ist dann davon beeinflusst und hindert uns daran, ruhig und klar wahrzunehmen. Wer kennt das nicht? Unsere Yogapraxis, Meditation und unser Umgang mit anderen Menschen ist gestört. Dies soll vermieden werden und wir sollen deshalb durch sauca unseren Körper rein halten. Dann kann unser Geist hell werden, im Zustand von saumanas sein.
Sauca ist eine Form von ahimsā, dem 1.yama. Wir behandeln den eigenen Körper so, dass wir ihn nicht schädigen. Wir gehen sogar fürsorglich mit ihm um. Wie sieht es damit in unserem Alltag aus?
Abgesehen von der natürlichen Degeneration unseres Körpers, dem Alterungsprozess, ist unser Gesundheitszustand zu 80% von unserem Lebensstil abhängig-so ein Mediziner. In welchem Maße entspricht unser ganz persönlicher Lebensstil der Form von sauca? Was ein gesunder Lebensstil ist, dazu gibt es viele Beiträge im Fernsehen, Regale voller Bücher und Millionen von Einträgen im Internet. Warum sind dann die Wartezimmer bei den Ärzten und Therapeuten überfüllt? Liegt es immer noch am Nichtwissen? Warum sind die Wartezimmer von Ärzten und Therapeuten voll von Patienten, die an „Zivilisations-„krankheiten-also dem Gegenteil von sauca leiden wie Bluthochdruck, Herzkrankheiten, Gelenkerkrankungen, Verdauungsprobleme usw.? Und für Patienten, die an anderen Erkrankungen leiden oder durch einen Unfall geschädigt sind, fehlt die Zeit bei den Spezialisten.
„Wer keine Zeit für seine Gesundheit hat, wird später viel Zeit für seine Krankheiten brauchen.“(Sebastian Kneipp). Ein Satz, der unsere Gesellschaft widerspiegelt: Keine Zeit zum Einkaufen (dann hätten wir auch die nötige Bewegung), stattdessen irgendetwas-to-go mit leeren Kalorien, Zucker und Fetten oder Lieferservice und keine Muße zum Verdauen. Weil viele sich so verhalten, ist es normal und wir denken nicht darüber nach. Auch dafür fehlt die Zeit.
Sauca ist ein Weg, der uns aus diesem Dilemma herausführen will. Wir nehmen wahr, was unserem Körper gut tut, denn wir spüren, dass wir dann mehr Energie haben und geistig klarer sind. Wir nehmen wahr, was uns müde und träge macht und können diese Dinge mehr und mehr meiden. Auch die Haut ist ein guter Indikator für eine gesunde Ernähung. Diese Nahrung wird sattvisch genannt.
Die Hatha Yoga Pradipikā – vermutlich 14.Jh. – und damit ca. 500 Jahre nach dem Yogasutra gibt Ernährungsempfehlungen für einen Yogi: „Bitteres, Saures, Beißendes, Salziges, Scharfes, grünes Gemüse, saurer Haferschleim, Sesam Öl, Sesam, Senf, Alkohol, Fisch, | Ziege, anderes Fleisch, saure oder mit Wasser vermischte Milch, Pferdebohne, Jujube-Frucht, Ölkuchen, Teufeldreck, Knoblauch und weiteres ist ungeeignete [Nahrung für einen Yogi], so sagt man. [Ein Yogi] sollte danach trachten, unvorteilhafte Nahrung zu vermeiden. [Dazu gehört auch:] | Aufgewärmtes, Fett reduzierte Produkte, sehr Salziges, sehr Saures, Abgestandenes und auch zu viele Gemüse.“
Aber: „Weizen, Reis, Gerste und alles was innerhalb von 60 Tagen reift [ist] gute Nahrung. Milch, Ghee, kristalliner Zucker, Butter, harter Zucker, Honig, | getrockneter Ingwer, die Gurkenfrucht, [sowie] weitere fünf Gemüse, Mung-Bohnen, [sowie] weitere Hülsenfrüchte und Regenwasser, [diese ist Nahrung, die] für die Besten der Yogis angemessen [ist].“ (Quelle: https://schriften.yoga-vidya.de/hatha-yoga-pradipika/kapitel/yamas-niyamas-asanas/)
Unsere Ernährungsgewohnheiten und Bedürfnisse haben sich seither geändert, so wie sich unsere Lebensweise geändert hat. Einiges auf der Liste, das wissen wir, ist aktuell nicht gesund für uns oder wir nehmen zu viel davon zu uns. Auch tendiert man mehr zu einer individuellen Ernährungsweise statt pauschaler Diäten für alle. So können wir vielleicht behutsam immer mehr die Nahrungsmittel meiden, die uns schaden und durch gut schmeckende und gesunde Lebensmittel ersetzen. So, wie wir uns die Art und Weise unserer Ernährung über eine lange Zeit angewöhnt haben, ist es jetzt auch ein längerer Prozess, dies zu verändern. Radikale Änderungen wie Diäten können erstens den Körper auch schädigen und sind zweitens nicht von Dauer. Mit abhyāsa (Ausdauer) stellt sich vairāgya (Loslassen von Ernährungsgewohnheiten) ein.
Nicht nur die Lebensmittel selbst, auch die Nahrungsaufnahme, bewusst und in Ruhe, spielt eine Rolle. Die Verdauung der Kohlehydrate findet im Mund statt, weshalb dazu geraten wird, ausgiebig zu kauen. Und nur ein entspannter Darm kann die Inhaltsstoffe gut aufnehmen.
Und wie ist es mit Genussmitteln wie Nikotin, Alkohol, Drogen, Kaffee, Süßigkeiten? Die Stoffe wirken auf den Körper und den Geist. Zu dem Zweck werden sie konsumiert. Für den Körper sind sie Gifte und wir wissen, wie wir uns fühlen, wenn die Wirkung nachlässt. Während wir unter dem Einfluss dieser Stoffe stehen, ist unsere Wahrnehmung nicht klar und wir sind von uns selbst (Gedanken und Gefühlen) und der Welt getrennt- beides ist ein Grund für den Konsum. Bei Kaffee und anderen Aufputschmitteln ist der Geist aktiver und/oder kreativer. Wir sind also unruhiger, oder wie es im Yoga heißt- rajasisch. Ob der kreative oder aktive Geist dann wirklich klarer ist, ist die Frage.
Und wenn die Wirkung nachläßt, ist der Geist nicht klar, weil er mit dem Nachschub beschäftigt ist. Asketen meiden diese Stoffe vollständig.
Shatkarmas – Die Reinigungspraktiken in der Hatha Yoga Pradipikā
Weil aber offensichtlich bei der besten Lebensführung- zumindest nach damaligem Kenntnisstand- sogenannte Schlacken im Körper entstehen, auch asuddis genannt, lehrt die Hatha Yoga Pradipikā mechanische Reinigungstechniken für den Körper- die shatkarmas oder shatkriya (HYP 2. 21.ff). Allgemein bekannt ist die Nasenspülung, die anderen sind außerhalb von Yoga eher unbekannt und bedürfen der Einführung in die Techniken durch eine*n Lehrer*in.
Auch āsana und prānāyāma dienen nach dem damaligen Wissen über die Funktionsweise des Körpers der mechanischen Beseitigung der asuddhis.
Sauca in Bezug auf den Geist / die klesa
Das yama sauca steht nicht in einem medizinischen Lehrbuch, sondern im Yogasutra, das den Weg aufzeigt, den Geist zu befreien. Das sutra meint logischerweise nicht den Zustand des Körpers, sondern den geistigen Zustand, die Gedanken und Gefühlen in Bezug auf den Körper.
Die Deutung des Wortes sauca als Widerwillen gegen den Körper oder alles Körperliche würde dem klesa dvesa – der Ablehnung entsprechen (YS 2.8). Diese Haltung des Nichtakzeptierens von Realität und Tatsachen soll aber gerade im Yoga überwunden werden. So wurde das sutra über sauca nicht mehr als Widerwillen oder Ekel dem eigenen Körper gegenüber verstanden, sondern vielmehr als eine geistige Haltung des Abstands zum eigenen Körper.
In unserer heutigen Zeit, in der viele Menschen eher eine kritische als eine liebevolle Beziehung zu ihrem Körper pflegen, ist das richtige Verständnis von sauca wichtig, kann sogar heilsam sein und ist bei Ess- oder anderen Zwangsstörungen sogar unumgänglich.
- Rāga (YS 2.7): Wieso führt uns ein mentaler Abstand zum Körper zu einer Reinheit im Geist? Die „Unreinheit“ (asuddhi) ist die Vorstellung unseres Geistes, an den Körper gebunden zu sein, ist eine Abhängigkeit vom Körper, eine Anhaftung. Das ist das klesa rāga. Wir sagen „mein“ Körper und unser „Ich“ identifiziert sich mit dem Körper- besonders mit dem Erscheinungsbild. Es ist wichtig, körperlich attraktiv zu sein. Davon lebt die Kosmetik- und die Modeindustrie, diverse Dienstleister*innen wie Friseure oder Nagel-, Fitness- und Sonnenstudios und manche Schönheitskliniken. Diese Besessenheit von der äußeren Form des Körpers nimmt unseren Geist gefangen. Er kommt nicht zur Ruhe, sondern ist abgelenkt:
- Abhinivesa YS 2.9: Die Angst vor den Veränderungen des Körpers, z.B. durch den Alterungsprozess, durch Krankheit oder Unfall beschäftigt häufig den Geist.
- Dvesa YS 2.8: Dann kommt es zu der ablehnenden Haltung gegenüber dem Körper. Obwohl wir wissen, dass wir den natürlichen Prozess nicht verhindern können, können wir die Veränderungen nicht akzeptieren. Unser Geist ist dadurch immer wieder beunruhigt, frustriert, ängstlich und kämpft dagegen an.
- Asmitā YS 2.6: Durch die Indentifikation unseres Ego mit dem Körper sind wir nicht frei, sondern leiden.Oft beurteilen wir uns selbst und andere anhand körperlicher Kriterien, die ja bekanntlich im Auge des Betrachters liegen. Wir nehmen ein äußeres Erscheinungsbild und nicht unser eigenes Wesen oder das eigentliche Wesen der anderen wahr bzw. wir sind uns dessen nicht einmal bewusst.
- Avidyā YS 2.4: Es besteht daher die Notwendigkeit, die Täuschung der Identifikation mit dem Körper zu erkennen. Dazu ist Abstand – jugupsa– hilfreich.
Wenn wir Abstand (jugupsā) zu unserem Körper entwickeln, erkennen wir, dass er niemals in unserem Sinne „perfekt“ sein wird, dass er sich ständig verändert und schließlich auch stirbt. Gleichzeitig können wir erkennen, welches komplexe Wunderwerk uns zur Verfügung steht. Wir nehmen den Körper wirklich wahr und können ihn als Instrument für unser Leben oder als Tempel der Seele betrachten, wie Teresa von Avila sagte. Wir akzeptieren die natürlichen Veränderungen bei uns wie bei anderen und sind weniger kritisch. Wir erleben mehr Verbundenheit mit unserem eigenen Wesen und anderen. Wir können mit Beschwerden und Schmerzen mit etwas Abstand besser umgehen, so dass sie den Geist nicht permanent beschäftigt halten.
Das Fasten als mentale Reinigungstechnik für klesa
Eine Strategie, Abstand zum Körper zu bekommen, ist das Fasten. Es ist deshalb eigentlich mehr eine mentale als eine körperliche Übung.
In den religiösen Traditionen ist es eine spirituelle Übung. In der Bibel heißt es, dass Jesus 40 Tage in die Wüste ging um zu fasten und dort allen möglichen Dämonen begegnete. Die Dämonen waren vermutlich die inneren Dämonen und keine aus Fleisch und Blut. Und so gibt es in der christlichen Kirche eine 40-tägige Fastenzeit vor Ostern. Was Gegenstand des Fastens ist, hat sich verändert-früher war es das Fleisch, dann besonders für Kinder die Süßigkeiten, aktuell kann es Medienfasten sein.
Die Moslems kennen den Ramadan.
Die Ziele sind
- die mentalen, psychologischen Abhängigkeiten und die damit verbundenen unbewussten Mechanismen durch einen Abstand zum Essen zu erkennen. Vielleicht merkt man dann, dass man auch mit einer kleineren Menge satt wird oder was dem Bedürfnis jetzt viel eher entspricht als zu essen.
- Das Essen, beispielsweise, wieder bewusster zu sich zu nehmen und mehr zu wertschätzen
- Durch den Verzicht mehr Zeit zu haben, sich nach innen zu wenden und zu meditieren- den inneren Dämonen zu begegnen und den Geist davon zu reinigen.
Der Vollständigkeit halber sei hier eine aktuelle Variante des Fastens, das Intervallfasten genannt. Hier steht der Körper, seine Gesundheit und oft auch eine Steigerung der Leistungsfähigkeit im Vordergrund. Die geistige Entwicklung spielt bei dieser Fastenart keine Rolle. Sie kann dennoch mentale Auswirkungen haben. Intervallfasten ist keine Diät, keine Ernährungsweise, keine Therapie, keine kurzfristige Angelegenheit, sondern eine bewusste Lebensform, die man dauerhaft und in Kombination mit einer gesunden Ernährung und viel Bewegung praktiziert.
Sauca im Alltag
Sauca ist Teil des kriyā yoga. Kriyā heißt sowohl Reinigung als auch Handlung. Sauca ist sowohl der angestrebte Zustand, als auch ein lebenslang andauernder Prozess. Es ist ein Reinigungsprozess, der auf einer inneren Entscheidung beruht und nicht von außen auferlegt wird bzw. werden kann. Äußere Rituale und Verhaltensweisen von Reinheit und Reinigung, die ohne Leidenschaft (tapas) „mechanisch“ durchgeführt werden bleiben wirkungslos.
Es ist entscheidend, dass dieser Prozess auf das Ziel von Yoga ausgerichtet ist. Wenn die Ziele aus dem Ego kommen, kann sauca in einen Reinlichkeitszwang führen, der das Gegenteil bewirkt und tiefer in die antarayas und klesa führt (Essstörungen, Phobien). Oftmals werden Menschen mit Tendenzen zu Zwanghaftigkeit, Perfektionismus, Ordnungs- oder Kontrollbedürfnis davon angesprochen und dann als sehr rigoros und dogmatisch erlebt. Für sie steht die Form, die Vorschrift im Vordergrund. Sie neigen dazu, sich zu schädigen oder zu überfordern. Wir brauchen svādhyāya, die Selbstbeobachtung, mit welchem Motiv wir diesen Prozess durchführen um mit viveka, der Unterscheidungskraft, die Motive des Ego vom Selbst zu trennen.
Wenn wir den Geist rein halten wollen, betrifft dies alle Bereiche unseres Lebens, weil die klesa und antaraya in alle Lebensbereiche hineinwirken:
- Den Körper rein halten durch die richtige Bewegung, Ernährung, durch Schlaf und keinen Stress
- Die Umgebung rein halten (aparigraha YS 2.39)
- Den Geist rein halten durch eine sorgfältige Auswahl von Informationen (Bücher, Medien), die den Zustand von sattva, Gleichmut, fördern
- Die Sprache reinhalten und ehrlich (satya YS 2.36) und authentisch sprechen
- Die Gedanken rein halten von den klesa wie Hass, Gier, Heuchelei,Frust, Arroganz Konditionierungen aus der Vergangenheit, Neid, Eifersucht und stattdessen die Haltung der bhāvana (YS 1.33) kultivieren
Auf der Matte, in der Meditation und im Alltag können wir mit Ausdauer (abhyāsa YS 1.13) im Laufe der Zeit uns selbst erforschen (svādhyāya YS 2.1) und herausfinden:
- Welche Gewohnheiten belasten und bedrücken mich, engen mich ein?
- Was ermüdet mich (Essen, Tätigkeit, Gespräche, Filme, Bücher…)?
- Welche tiefen Bedürfnisse liegen den bisherigen schädigenden Gewohnheiten zugrunde?
- Wie kann ich mit diesen Bedürfnissen direkt umgehen?
- Mit welchen Gedanken beschäftige ich mich?
- Was beruhigt, was stärkt meinen Körper und Geist? (Essen, Umgebung, w.o.)
- Wie verbringe ich meine Zeit?
- Womit fühle ich mich frei und leicht?
So kann sauca auch bedeuten, sich von etwas zu lösen oder zu trennen – Wünschen, Überzeugungen, Dingen oder Menschen- oder etwas zu verändern. Dann können wir intensiver mit uns selbst, den Mitmenschen, der Mitwelt in Kontakt sein, wodurch sich die Beziehungen und unsere seelische Gesundheit verbessert.