Niyama: 3.tapas YS 2.43

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(Am Ende des Textes gibt es eine Audiodatei mit den Sanskritbegriffen)

In diesem sutra begegnet uns ein Begriff wieder, der als erstes Wort das Kapitel sādhana pāda – den Übungsweg- einleitet: tapah oder tapas. Es ist das erste Element des kriyā yoga- des Yoga der Handlungen, des Tuns, der Erfahrung- im Gegensatz zum jnana-Yoga, dem Weg der Erkenntnis, des Wissens, des Intellekts.

Warum taucht der Begriff bei den niyama erneut auf?
Was bedeutet tapah?
Wie passt er zu den niyama?


Für tapah gilt wie für alle anderen niyama, dass sich die Bedeutung nur im Zusammenhang mit dem ganzen Text des Yogasutra erschließt. An dieser Stelle einige wichtige Stichworte zur Einführung. Ausführlich finden Sie die Erläuterung in dem Beitrag Die niyama:

  • Ziel von yoga und damit der niyama ist die Entwicklung von innerer Ruhe (nirodha, YS 1.2) und Klarheit im Geist (viveka, YS 2.26/3.54/4.26)
  • Dieser ruhige geistige Zustand ist notwendig, um den Bewusstseinszustand von samādhi, kaivalya, yoga (YS 1.46, 2.25), wie das allumfassende Bewusstsein und die innere Freiheit in Sanskrit heißt, erfahren zu können
  • Die niyama beschreiben jeweils einen Aspekt des inneren Zustands des ganzen Menschen: körperlich, kognitiv und psychologisch
  • Der Ausdruck im Handeln ist das Ergebnis der inneren Haltung, nichts „Aufgesetztes“, d.h. die Handlung ist authentisch. Sonst ist es kein niyama
  • Die niyama sind keine Einschränkungen sondern befreien von inneren Begrenzungen

Die niyama sind Teil des praktischen Übungsweges (sādhana pāda), keine Theorien oder moralischen Vorschriften.


Der Begriff tapas im Yogasutra

Das niyama tapas reduziert bzw. beseitigt Unreinheiten (ashuddi YS 2.28/2.43) und der Körper und die Sinne werden vollkommen. (Patanjali, Das Yogasutra, R. Sriram, Theseusverlag 2006).
In manchen Schriften wird tapas als Methode zum Erwerb übersinnlicher Kräfte und Fähigkeiten gedeutet. Das führt aber sicherlich in Bezug auf Yoga auf die falsche Fährte. Es würde dem Ego dienen und nicht dem Ziel von Yoga.Vielmehr ist vorstellbar, dass die natürlichen Kräfte und Fähigkeiten durch die „Unreinheiten“ verdeckt waren und mit tapas diese Kräfte und Fähigkeiten freigesetzt und als besonders, als über-sinnlich erlebt werden. Wir können sie jetzt mit unseren Sinnen wahrnehmen.

Mit anderen Worten: Tapas führt zu sauca (Reinigungsprozess/Reinheit), dem ersten niyama. Tapas ist eine innere Haltung, die für den Reinigungsprozess notwendig ist. Die Reinigung bezieht sich nicht auf äußere körperliche Reinheit, sondern auf den Geist. Diese mentalen und psychischen Unreinheiten sind im ersten Kapitel als die antarāya (YS 1.30ff.) und im zweiten Kapitel die klesa (YS 2.3-2.9). Denn sie und unbewusste Prägungen (samskāra und vāsana) halten den Geist unentwegt beschäftigt. Der Geist wird ständig von äußeren und inneren Einflüssen gestört und kann nicht in die Ruhe kommen, in den Zustand von citta prasādana (YS 1.33), als Voraussetzung für das Bewusstsein von samādhi.

Für die äußeren Störungen spielen die Sinne eine wichtige Rolle, denn sie lenken die Aufmerksamkeit des Geistes mal hierhin, mal dorthin und erzeugen neue Bedürfnisse. Solange der Geist an die Sinne gebunden ist, wird er ihnen folgen und nicht zur Ruhe kommen. Wenn der Geist im Zustand von prasādana ist, läßt er sich durch die Sinne nicht mehr stören. Werden durch tapas zuerst die Unreinheiten beseitigt, stören der Körper und die Sinne den Geist nicht mehr. Das führt in den Zustand von samtosa Zufriedenheit und  der wiederum zu Gleichmut (YS 2.15) den Zustand höchsten Glücks (suhka lābha), dem zweiten niyama.

An dieser Stelle und eingebettet in niyama und astanga (YS 2.28 ff), den achtgliedrigen Pfad, erfährt der Begriff vom Anfang des zweiten Kapitels eine Konkretisierung, wodurch verständlicher wird, was damit gemeint ist.


Die verschiedene Bedeutungsebenen von tapas/tapah:

  • Hitze
    Tapah (der urprüngliche Begriff) oder tapas bedeutet vom Wortstamm her „Hitze“. Wozu brauchen wir auf dem Yogaweg Hitze? Die Hitze steht als Bild für Intensität. Es steht für den starken Wunsch zu wissen, was die eigene Essenz ist, was jenseits des Egos ist und den Zustand von Yoga, samādhi, zu erleben. Diese mentale, psychische und spirituelle Intensität braucht es, denn der Weg ist eine Transformation dessen, was wir als Ego oder Persönlichkeit bezeichnen. Manche nennen es eine spirituelle Geburt. So, wie durch den Prozess des Bebrütens durch Wärme und Hitze ein Küken ausgebrütet wird, so braucht der Prozess des Yoga eine innere Hitze. (Dr. Shrikrishna Bushan Tengshe, 2017)
  • Leidenschaft
    Tapas bedeutet auch Leidenschaft. Wir kennen das Bild vom „inneren Feuer“ oder „für eine Sache zu brennen“. Tapas ist etwas anderes als Enthusiasmus, der schnell verpufft. Die Leidenschaft gibt uns die nötige Energie für einen anstrengenden Weg, läßt uns Hindernisse überwinden und Unannehmlichkeiten ertragen, die wir sonst nicht ertragen wollten. Tapas bedeutet, alle Energie die wir zur Verfügung haben, zu fokussieren und ohne sich ablenken zu lassen für das Ziel einzusetzen. „Ja, ich tue, was ich kann. Und ich bin auch bereit, Unangenehmes zu machen. Ich bin bereit, wirklich intensiv zu praktizieren.“
  • Reinigungsprozess
    Tapas, Hitze oder Feuer stehen auch für den inneren Reinigungsprozess. So wie ein Feuer Altes vernichtet und somit Neues entstehen kann, braucht es auf dem Yogaweg die Intensität und Leidenschaft, uns von überholten Konditionierungen, Überzeugungen, Trieben (Ängste, Zwänge, Täuschungen, Abneigungen, Anhaftungen) zu reinigen, d.h zu befreien. Wir wir alle wissen, hält das Ego sehr daran fest (klesa). Denn diese, sowie Hindernisse (antaraya) und unbewusste Prägungen (samskara) halten den Geist unentwegt beschäftigt.
  • Disziplin
    In manchen Texten findet man als Deutung von tapas den Begriff Disziplin. Am Anfang eines Weges, wenn es noch etwas mühsam ist, ist eine vom Willen gesteuerte Disziplin, eine Routine hilfreich. Man sollte sich aber bewusst sein, dass diese Disziplin aus dem Ego kommt-mit allen Risiken und Nebenwirkungen: doch aufzugeben, sich zu überfordern, das Falsche zu tun, das Ziel aus den Augen zu verlieren und um der Disziplin willen oder aus Stolz durchzuhalten.
    Etwas anderes ist es, wenn man für eine Sache brennt und Leidenschaft entwickelt hat. Das ist eine freiwillige Disziplin. Diese Disziplin sollte sich immer mehr in der Yogapraxis entwickeln. Sie dient allein dem Ziel und stärkt nicht weiter das Ego. Das ist tapas.
  • Askese und ihre Formen
    Eine besondere Form der Disziplin ist die Askese. In dem Bemühen, von äußeren Bedingungen und inneren Bedürfnissen unabhängig zu werden und sich davon nicht ablenken zu lassen, hat sich das Asketentum entwickelt. Im Christentum kennen wir das Armuts-und Keuschheitsgelübde. Christen und in Indien die Sadhus legen sich allerlei Beschränkungen und Mühen auf. Damit wollen sie üben, jede Schwierigkeit auszuhalten, nicht aufzugeben und sich nicht ablenken zu lassen. Im Christentum ist es eine Form der Buße, also Reinigung von alten Verfehlungen, Sünden genannt. Auf diese Weise wollen die Asketen den Körper und den Geist reinigen von den Unreinheiten der antarāya, klesa und samskāra.

Müssen wir also, wie die Yogis in Indien auf Nagelbrettern schlafen, tagelang auf einem Bein stehen, einen Arm in die Luft strecken oder uns auf andere Art quälen und foltern?

  • Sattvisches tapas: In alten Schriften wird beschrieben, dass Yogis sich zurückzogen (in den Wald gingen) und dort intensiv spirituelle Praktiken, meistens Meditation, ausübten. Diese Praktiken sollten die Yogis in einen sattvischen inneren Zustand bringen-was im Yogasutra mit den yama und niyama, dem klaren Geist (citta prasādana) und dem stillen Geist nirodha (YS 1.2) beschrieben wird. Diese Art von Askese ist wirkliches tapas. Nur diese Form reinigt den Geist. Es kommt nicht aus dem Ego, sondern aus einer tieferen Quelle, einer Sehnsucht nach einem Zustand, von dem wir ahnen dass es ihn gibt. Dieses tapas ist getragen von shraddhā, einem Urvertrauen, dass das Ziel erreichbar ist. Deshalb ist dieses tapas stabil.
  • Tamasisches tapas: Davon zu unterscheiden ist ein tamasisches tapas. Tamas ist ein Zustand von Besessensein von etwas, rigide, verbissen, Kontrolle, Zwang, Festhalten. In diesem Zustand dient die Praxis nicht der Reinigung sondern verstärkt die verunreinigenden Tendenzen. Einige Beispiele sind diese Sadhus aus Indien. Sie verhalten sich wider die Natur und verursachen Störungen im Körper. Das Verhalten kommt aus dem Ego.
  • Rajasisches tapas: Die andere Form ist rajasisches tapas. Auch diese Form entspringt dem Ego. Hier geht es darum, dass es „mein“ tapas ist. Es kommt aus dem Stolz, um spektakuläre Leistungen zu zeigen, andere zu beeindrucken und dafür bewundert zu werden. Dann ist der Geist damit beschäftigt und kann nicht zur Ruhe kommen. Diese Form von tapas dient allein dem Ego. Es führt zu neuen Unreinheiten. Solche Askese, die dem Zweck dient, Respekt, Ehre oder Verehrung zu erreichen und der Prahlerei dient, ist unstabil, flüchtig und vergänglich.

Nur das sattvische tapas schützt uns davor, „zu verbrennen“ oder „auszubrennen“. Es kreiert keine neuen Störungen, sondern führt zu innerer Ruhe.

„Das Viele muss verschwinden, damit die Fülle des Seins aufrauscht“ Thomas von Aquin


Der Effekt von tapas

Tapas bedeutet also dreierlei:

  1. Ein intensives Gefühl von Sehnsucht aus einem Urvertrauen (shraddha), einen Zustand jenseits des Ego erreichen zu wollen, der samadhi genannt wird.
  2. Die Leidenschaft, die volle Energie ohne Ablenkung darauf auszurichten, dieses Ziel zu erreichen. Keine Mühen oder Anstrengungen zu meiden, sondern sich ihnen zu stellen.
  3. Dieses innere Feuer verbrennt die Blockaden und Unreinheiten des Geistes und befreit den Geist von der Abhängigkeit von äußeren Bedingungen und von Bedürfnissen.

Was ist der Effekt?

Unser Geist ist von der Identifikation mit äußeren Dingen, z.B. Beruf, Prestige, Besitz, gereinigt. Das ist sauca. Wenn etwas da ist, ist es gut, und wenn nicht, stört es den inneren Zustand nicht. Das ist vorher in den yama als brahmacharya (YS 2.38) und aparigraha (YS 2.39) bei den niyama als sauca (YS 2.40) beschrieben. Wir müssen gegen nichts ankämpfen (dvesa YS 2.8) und sind auch nicht abhängig (rāga YS 2.7).

Wir kommen mehr und mehr in den Zustand von nirodha (Stille), samtosa ( YS 2.42/Zufriedenheit) und sukha lābha (höchstem Glück). Dann können wir in den Zustand von samādhi erreichen. Dieser Zustand wird beschrieben als ein Zustand, in dem unser innerstes Wesen, die innere Essenz, von den Unreinheiten enthüllt, als unser inneres Licht erstrahlt (YS 2.52). Bildlich gesprochen sind wir „erleuchtet“.  Manche nennen es auch unsere göttliche Präsenz, die wir wirklich sind und an die wir uns dann wieder erinnern. Bei diesen Beschreibungen kann es zu Mißverständnissen kommen, wenn sie wörtlich genommen werden, weil unser Verstand dieses Bewusstsein nicht erfassen kann und in seine bekannten Kategorien steckt. Das kann dazu führen, dass das Ego gestärkt wird, wenn es sich „göttlich“ fühlt. Es ist aber gerade nicht das Ego, das göttlich ist.


Tapas im Yoga und im Alltag

Wie ist es um „unser“ tapas bestellt?

  • Kommt unsere Leidenschaft, die Sehnsucht für Yoga zu brennen, aus einer nicht mit Worten zu beschreibenden Gewissheit, aus shraddhā? Oder kommt es aus dem Ego mit seiner Eitelkeit, dem Perfektionismus, Anhaftung an den Status eines modernen Lebensstils, zu dem Yoga stilisiert wird oder aus einem Kontrollbedürfnis, den Geist und Körper zu beherrschen?
  • Ist die Praxis keine Pflicht, keine äußere Disziplin, sondern von einem inneren Feuer und einer inneren Freude getragen?
  • Beruht die Intensität auf einem Verständnis, Neigungen zu Anhaftung/Festhalten, zu Aversion, Täuschung, (klesa), zu Unehrlichkeit, Gier, Aggression, Unzufriedenheit, alle Unreinheiten loszulassen? Oder werden die yama (Gewaltfreiheit, Aufrichtigkeit, Einfachheit, Genügsamkeit) als Flucht benutzt?
  • Reduziert tapas die Störungen im Körper und erzeugt keine neuen?
  • Befreit uns tapas von der Tendenz, gestört zu werden? Wird der Zustand unseres Geistes immer stiller in Richtung prasādana und nirodha? Wird es immer leichter, still zu bleiben?
  • Läßt tapas uns dranbleiben, auch wenn es unbequem ist, wenn es mühevoll und anstrengend ist und ist es stärker als unsere Angst davor?
  • Hilft uns tapas dabei, immer wieder neu anzufangen, wenn wir den Faden verloren haben?
  • Führt uns tapas zu mehr Toleranz, Freundlichkeit im Denken, Reden und Handeln, zu mehr Liebe und Mitgefühl? Ist es von sattvischer Natur? Oder kommt es aus dem Ego, mit seiner tamasischen oder rajasischen Tendenz, was eng, intolerant und rigide werden läßt?

Um tapas zu stärken, werden hier und da „Übungen“ angeregt. Der zentrale Aspekt ist, die Komfortzone zu verlassen, Abhängigkeiten und Konditionierungen sichtbar zu machen und loslassen zu können:

  • Verzicht: Eine bestimmte Zeit, z.B. einen Monat auf Zucker, Kaffee oder anderes zu verzichten oder zu fasten, kalt zu duschen statt warm (rāga)
  • Dinge tun, die man nicht mag, z.B. Joggen, früh aufstehen, Müll raustragen….. oder einen Menschen anrufen, den man nicht mag (dvesa)
  • Intensive spirituelle Praxis in einem Retreat über eine längere Zeit, z.B. ein Wochenende oder eine ganze Woche mit Schweigen, āsana und Meditation.

Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten von tapas wie es Menschen gibt. Für den Yogaweg ist es eine regelmäßige Praxis auf der Matte, das Studium der Texte, die Meditation oder das Singen von Mantren und eine bewusste Lebensführung. Auch hier gibt es viele Varianten. Für Buddhisten ist es die regelmäßige Meditation, für Christen das Gebet und eine entsprechende Lebensführung. Darüberhinaus gibt es viele andere Wege. Denn die äußere Form ist nicht das Wichtigste. Es kommt auf die Intention, die innere Haltung an.
Letztendlich wird jeder Weg, der mit ganzer Energie und trotz aller Unannehmlichkeiten und Mühen gegangen wird, zum Ziel führen.

Datei mit der Aussprache der Sanskritbegriffe