Die Hindernisse: 2.styana- Die Trägheit

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(Am Ende des Textes gibt es eine Audiodatei mit den Sanskritbegriffen)

Alles, war wir wahrnehmen können, unterliegt der Veränderung. Alles ist in Bewegung. Stillstand bedeutet Rückschritt, heißt es. Wir erleben Leben als einen ständigen Prozess. Auch unsere individuelle Existenz wandelt sich ständig. So sind alle sieben Jahre alle Zellen erneuert und unser Körper ein anderer.

Die Weisheitslehren und Philosophien raten uns, mit den Veränderungen mitzufließen. Das führt zu Glück und Wohlbefinden. Wenn wir dagegen ankämpfen leiden wir. Entgegen dieser Erkenntnis sind wir manchmal zu träge-körperlich und geistig. Das Ego möchte in seiner Komfortzone bleiben. Die Gründe sind z.B. Angst oder Bequemlichkeit. Diese Trägheit-styāna- ist ein Hindernis, das zwischen uns und unserem Ziel steht, ein antarāya.

Das Yogasutra setzt sich mit unserem Geist, seinen Funktionsweisen, seinen Zuständen und deren Auswirkungen in unserem Leben auseinander. Es ist eine Reise nach innen. Der Text beschäftigt sich deshalb mit den Hindernissen im Geist und nicht mit äußeren Hindernissen.

Im sutra 1.30 heißt es, dass es verschiedene Hindernisse für die Ruhe im Geist gibt. Wir haben zwar den Wunsch, den Geist zur Ruhe kommen zu lassen, aber dann treten Hindernisse auf und unsere Bemühungen, unser Streben führen nicht zum Erfolg. Sie reichen nicht aus. Wir müssen uns zuerst um die Hindernisse kümmern, so dass sie sich immer mehr auflösen. Das Auflösen geschieht durch Erkennen ihrer Gründe und Ziele. Wenn wir diese auflösen können, verschwindet das Hindernis. Solange sie für unser Ego einen Vorteil und deshalb einen Sinn ergeben, lassen sie sich nicht beseitigen und nicht einfach überwinden.


Die drei Eigenschaften der Materie- die guna

Die indische Philosophie des samkhya (ab ca. 350 v.Chr.) erklärt die Welt als Zusammenspiel dreier Eigenschaften, den guna. Auch in dem indischen Epos, der Bhagavadgītā, wird von drei Eigenschaften gesprochen aus denen die Welt besteht: rajas, tamas und sattva.

Wir Menschen, unser Körper und unser Geist bestehen wie alles andere in der Welt aus diesen drei Elementen:
Rajas ist die Energie der Bewegung und Aktivität, ohne die wir nicht ins Handeln kommen und auch die Energie der Unruhe und des Getriebenseins. Morgens und am Tag ist es eine wichtige Energie, aber abends und nachts stört sie. Es kommt auf den Zusammenhang an.
Tamas ist der Gegenpol und bezeichnet die Ruhe, die wir zur Regeneration brauchen und ohne die wir „ausbrennen“ und auch die Schwere und Trägheit. In Ruhephasen benötigen wir diese Energie, aber wenn wir ins Handeln kommen wollen, bremst sie uns.
Sattva ist die Ausgeglichenheit, Klarheit, Wachheit, Leichtigkeit, Harmonie. Dieser Zustand ist selten. Meistens pendeln wir zwischen den beiden anderen Polen.

Überwiegt der tamasische Zustand, so drückt sich dies z.B. durch ein Gefühl von Schwere, Schwerfälligkeit, Dumpfheit oder Gleichgültigkeit aus. Die Energie ist blockiert oder zäh und unser Tun oder Denken fällt schwer und wird als anstrengend empfunden. Das entspricht der Beschreibung von styāna im Yogasutra. Styāna wird also als ein natürlicher „biologischer“ Teil unseres Menschseins gesehen, das je nach Ausprägung zu einem Hindernis werden kann, insbesondere im Hinblick auf notwendige Entwicklungen auf dem Yogaweg.


Styāna in Verbindung mit dem antarāya vyādhi

In der Reihenfolge der antarāya ist styāna das zweite Hindernis. Es kann, muss aber nicht, eine Folge des ersten Hindernisses- vyādhi– Krankheit oder Unwohlsein, sein. Wenn der Körper geschwächt ist, ihm Energie fehlt, dann fehlt auch die Energie im Geist und somit die Energie, um ein Ziel zu verfolgen. Das kennen wir als psychosomatischen Effekt. Deshalb spielt der Körper im Yoga eine Rolle. Gesundheit und eine angemessene Fitness sind weder Selbstzweck noch Luxus, sondern eine Voraussetzung für einen ruhigen Geist und unter anderem auch zur Vermeidung von styāna, einer Form von geistiger Trägheit, die unsere Entwicklung be- bzw. verhindert. Vyādhi steht an erster Stelle der antarāya und vor styāna.

Andererseits wissen wir auch, dass bestimmte Einstellungen z.B. Optimismus oder Pessimismus, Selbstwirksamkeit, also unsere Gedanken und Gefühle, unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden beeinflussen. Sie wirken z.B. auf unseren Schlaf, auf den Stoffwechsel, das Hormonsystem oder unsere Muskulatur. Also könnte man bezüglich der Reihenfolge auch anders argumentieren. Was war zuerst da? Lagen unseren Gedanken und Gefühlen wiederum körperliche Prozesse zugrunde? Für die Praxis spielen diese Überlegungen keine Rolle, denn es gilt letztendlich alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Wie wichtig der körperliche Zustand ist, wissen wir alle aus eigener Erfahrung. Er ist uns vielleicht vertrauter oder näher als unsere flüchtigen Gedanken und Gefühle und sein Zustand wird uns durch seine Rückmeldungen schneller bewusst. Aus dem Grund ist es auch leichter etwas auf der körperlichen Ebene (Bewegung, Ernährung) zu verändern, als im Geist und in unseren Gewohnheiten.


Styāna auf der Matte und im Alltag

Styāna ist ein Zustand, der auch bei einem gesunden Menschen vorkommen kann. Das Denken ist träge und es mangelt an Flexibilität. Der Geist ist im Zustand von tamas. Er kann verschiedene Ausdrucksformen annehmen:

  • Trägheit

Der Geist ist träge und möchte gern in der Komfortzone bleiben. Hier zeigt sich styāna deutlich als Hindernis, das sich in den Weg stellt. Es ist zwar Interesse oder Einsicht vorhanden, aber die Energie fehlt. „Aller Anfang ist schwer“- zu schwer und zu aufwändig für einen tamasischen Geist. Wenn wir mit einer āsana– oder Meditationspraxis beginnen, etwas Neues lernen oder uns wieder mehr bewegen wollen fehlt -nach dem Strohfeuer der Anfangseuphorie- noch der spürbare Erfolg, der uns später motiviert. Wir haben gemerkt, dass die neuen Übungen anstrengend sind oder wir sie nicht mögen. Unser Geist will die unangenehme Erfahrung vermeiden und so bleibt es beim Vorsatz. Trägheit ist dann eine Vermeidungsstrategie. Die Folge dieser Trägheit ist, dass sie uns schwächt und zu einem immer größeren Hindernis werden kann. Wir fühlen uns auch mit der Trägheit nicht gut, sondern schwach, verurteilen uns vielleicht dafür und das schwächt wiederum unser Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein. Entweder kommen wir dann wieder an einen Punkt, wo wir wieder beginnen oder wir geben auf.

Diese Trägheit ist ein Hindernis, weil der Geist nicht zur Ruhe kommen kann, wenn er mit unerledigten Dingen beschäftigt ist und uns gleichzeitig in unserer Entwicklung behindert. Da wir mit uns selbst unzufrieden sind, sind wir im Kontakt mit anderen keine guten Zuhörer, nicht empathisch, ungerecht oder projezieren unsere Unzufriedenheit auf die anderen.

  • Aufschieberitis/Prokrastination

Eine Form der Trägheit ist die „Aufschieberitis“, die schließlich aufgrund inneren oder oft äußeren (Termin-)Drucks überwunden wird. Das Problem ist auch hier der Stress und der Druck, der körperlich und psychisch eine Belastung ist. Die Begründung oder Ausrede, man sei unter Druck besonders gut und leistungsfähig, wurde widerlegt. Dazu hat sich der Hirnforscher, Dr. Gerald Hüther, in seinen Vorträgen und Büchern geäußert. Am kreativsten und leistungsfähigsten ist der Geist im Zustand der Entspannung, wenn der ventrale Vagus aktiv ist (Stephen Porges). Das persönliche Erleben kann anders sein. Es gilt zu prüfen, ob die Erklärung für die Prokrastination wirklich stimmt, also zu einem besonders guten Ergebnis führt oder aber eine Ausrede ist.

  • Leicht ablenkbar/viksipta

Wenn wir Dinge aufschieben, können wir die „freie“ Zeit nicht genießen, der Geist kommt nicht zur Ruhe. Vielmehr muss er das Wissen um die unerledigten Dinge verdrängen, d.h. er beschäftigt sich permanent um sie zu vergessen. Ein Fortschritt in der Entwicklung ist so nicht möglich. Der Geist läßt sich gern ablenken, z.B. von Anrufen, Mails, Nachrichten, einem Geräusch oder einfach von Vorstellungen und Tagträumen. Er ist nicht in der Lage, sich zu konzentrieren.

  • Fehlender Enthusiasmus

Die Fähigkeit zum Enthusiasmus ist wichtig, um Neues beginnen zu können. Die Begeisterungsfähigkeit gibt die notwendige Schubkraft zu Beginn und auch während sogenannter „Plateauphasen“. Diese Phasen kommen immer wieder vor, denn zu jeder Entwicklung gehören auch Pausen. Sie sind nötig, um einen erreichten Zustand zu stabilisieren, aber uns kommt es manchmal so vor, als ginge es nicht weiter. Wenn gewohnte Fortschritte ausbleiben, läßt uns das vielleicht an uns oder dem Weg zweifeln. Dann brauchen wir tapas (YS 2.1), das Feuer der Begeisterung, das uns motiviert, dran zu bleiben. Wenn der Geist zu träge ist, brennt auch dieses Feuer nicht.

  • Gleichgültigkeit, Mangel an Interesse, Teilnahmslosigkeit, Apathie

Styāna kann auch als Gleichgültigkeit, ein Mangel an Interesse bis hin zu Teilnahmslosigkeit und Apathie auftreten. Während bei Trägheit und Aufschieben grundsätzlich ein Interesse und die Absicht besteht z.B. regelmäßig Yoga zu praktizieren, aber die Energie nicht reicht, sich „aufzuraffen“, fehlt bei Gleichgültigkeit ein solcher Antrieb. Warum ist das ein Hindernis? Der Geist ist doch ruhig? Diese Ruhe entsteht nicht aus einem wachen Geist, der präsent ist. Die Gedanken sind zäh und die Ruhe eine Trägheit. Sie entsteht im Ego und nicht aus der Klarheit und Präsenz. Im Gegenteil: Sie verhindert in den Zustand des Selbst zu kommen. Wir brauchen Neugier und Interesse am Erreichen des Bewusstseins.

  • Starres, dumpfes, stumpfsinniges Verhalten, Zwanghaftigkeit, Starrköpfigkeit

Der Geist ist so träge und dumpf, dass er sich wie in einem dunklen Tunnel anfühlt. Er kann nicht offen sein für Neues, sondern steckt in alten Erfahrungen und Einsichten fest. In diesem Zustand werden alte Erfahrungen immer wiederholt. In der aktuellen Situation besteht keine Wahlmöglichkeit, sondern es wird mechanisch, zwanghaft auf alte Denk-und Verhaltensmuster zurückgegriffen. Genau diese Muster gilt es aber zu überwinden, weil sie ja dem Ego entspringen. Aufgrund der Trägheit wird jedoch Veränderung blockiert.

  • Rigidität/Intoleranz

Ein träger Geist ist oft auch rigide und hat keinen Spielraum für Abweichungen. Bestimmte eingeübte, erlernte und geprägte Verhaltensweisen sind genau so zu befolgen und eine Abweichung wird nicht toleriert. Es fehlt die Bereitschaft, sich mit anderen Einstellungen überhaupt auseinanderzusetzen oder die eigene Haltung zu hinterfragen. Vielmehr werden andere Verhalten und Meinungen pauschal verurteilt und abgewertet. Der so beschäftigte Geist kann nicht zur Ruhe kommen. Auch ist er zu sehr in der Vergangenheit gefangen, als dass er sich zu verändern bereit ist.


Styāna und abhyāsa-Abgrenzung

Styāna und abhyāsa (YS 1.13) scheinen ähnlich. Beiden ist gemeinsam, dass der Geist beharrlich ist und sich nicht beeinflussen läßt. Während styāna als Hindernis gilt, ist abhyāsa eine erwünschte und wichtige Fähigkeit. Abhyāsa bedeutet, den Geist auf ein Objekt ausgerichtet zu halten, z.B. in der Meditation. Abhyāsa bedeutet auch, beharrlich eine regelmäßige Praxis zu haben, dran zu bleiben und sich eben nicht von Hindernissen davon abhalten zu lassen. Abhyāsa ist eine Beständigkeit auf dem Weg, ohne die es natürlich schwierig ist, ein Ziel zu erreichen. Dennoch bleibt der Geist flexibel, erkennt mögliche Irrtümer oder neue Möglichkeiten. Der Geist hat immer wieder eine neue Wahl und kann sich bewusst entscheiden. Auf diese Weise kann er auf dem Weg bleiben und beharrlich das Ziel verfolgen.

In styāna ist der Geist auch beharrlich, aber es fehlt die Flexibilität und auch die Bewusstheit. Reflexhaft und ohne die Bewusstheit, dass es sich um mehr oder weniger unbewusste Wiederholungen handelt, gibt es keinen Fortschritt. Er hält vielmehr sein Handeln für eine bewusste Entscheidung und versteht nicht, warum er immer wieder leidvolle Situationen erlebt. Er hält trotzdem daran fest.


Der Umgang mit styāna

Wie kann man dieses Hindernis reduzieren und auflösen?

Wie oben beschrieben ist styāna nicht gleich styāna. Es braucht deshalb eine Unterscheidungsfähigkeit-viveka- um die Quelle dieses Hindernisses zu finden und die Auflösung herbeizuführen. Dafür wiederum brauchen wir die Selbsterforschung svādhyāya (YS 2.1). Das setzt voraus, dass wir die Verantwortung für unsere Trägheit nicht auf andere projezieren sondern selbst übernehmen. Wir brauchen den Mut und die Zeit, nach innen zu horchen:

  • Ist styāna ein vorübergehender Zustand oder ist er länger anhaltend oder gar dauerhaft?
  • Ist die Ursache körperlicher oder psychischer Natur? Schmerzen, Stoffwechsel-, Hormonprobleme, Schlafmangel, Mangel an Vitaminen und Nährstoffen, Allergien? Dann müssen wir uns zunächst darum kümmern, damit der Geist von diesen Gedanken wieder frei werden kann.
  • Sind es unbewusste kollektive Muster? Mit der Industrialisierung und dem Einsatz von Maschinen, die rund um die Uhr arbeiten und immer die gleiche Leistung bringen können, wurde unser Verhalten über Generationen verändert. Wir haben uns den Maschinen angepasst. Als die Arbeitszeiten reduziert wurden, hat es aber nicht zu mehr Ruhe geführt, sondern wir haben dieses Muster in unser Privatleben mitgenommen. Auch hier müssen wir etwas leisten-Yoga, Sport, Kultur….. Wir sind aber nach wie vor natürliche Lebewesen mit dem Pendeln zwischen Aktivität (rajas) und Ruhe (tamas). Auch unsere Yogapraxis können wir nicht wie eine Maschine immer gleich abarbeiten. Wenn wir aber diesen unbewussten Anspruch an uns haben, und uns selbst in unserer Freizeit keine Ruhe gönnen, sind Körper und Geist irgendwann erschöpft und wir fühlen uns träge. Damit können Gefühle von Versagen und Schuld oder Scham einhergehen. Im Umgang mit unserer Yogapraxis können wir ggf. dieses Muster entdecken-wenn wir nur noch konsumieren wollen und nicht mehr genug Energie aufbringen für die Praxis. Wir können uns dann entscheiden, ob wir so weitermachen wollen oder unseren Alltag ändern.
    Ein anderer kollektiver Anspruch ist seit einigen Jahren, dass alles „Spaß“ machen muss. Wir sollen alles gut gelaunt und mit Spaß machen. Und wenn es keinen Spaß macht, machen wir etwas falsch. Wenn wir keine Lust auf die Yogapraxis haben, lassen wir es bleiben, weil wir das unangenehme Gefühl, etwas falsch zu machen, vermeiden wollen. Dieser Anspruch, jeden Tag alles mit Freude und Spaß machen zu müssen, ist eine Überforderung. Aber statt die Praxis zu vermeiden, könnten wir uns einfach mal auf die Matte begeben und beginnen. Dann kann man die Erfahrung machen, sich hinterher trotzdem besser zu fühlen oder die neue Erfahrung, wie sich eine Praxis in diesem Zustand anfühlt.
  • Gibt es ein individuelles Muster? Müssen wir jeden Tag und immer die gleiche Praxis machen, wie es empfohlen wird? Eine regelmäßige Praxis ist notwendig, aber ohne Zwang und Rigidität. Die Praxis sollte an die Möglichkeiten angepasst werden-nicht aus Bequemlichkeit und Trägheit, sondern weil die Möglichkeiten es so vorgeben. Z.B. kann die Praxis mal länger oder mal kürzer sein, vielleicht nur ein oder zwei Übungen, die aber wirklich hilfreich sind, oder andere Übungen, um zu dehnen und zu strecken. Wenn unser Muster ist, auf der Yogamatte jeden Tag die gleiche „Leistung abliefern zu müssen“, lassen wir die Praxis vielleicht ganz bleiben.
    Oder ist der Grund für die Trägheit eigentlich ein Widerstand gegen Disziplin? Wenn jemand immer zur Disziplin gezwungen wurde, obwohl es nicht gut war, kann sich ein Widerstand als Schutzmechanismus gebildet haben, der bei allem, was Disziplin beinhaltet, aktiv wird. Das ist ein Hinweis hier Unterscheidungsfähigkeit zu entwickeln, wo der Widerstand wichtig ist und wo er zum Hindernis wird. Für die Yogapraxis ist, sofern sie angemessen praktiziert wird, ein Hindernis.
    Auch das Gegenteil kann der Fall sein. Wenn die Erfahrung ist, dass sich Anstrengung nicht lohnt oder jemandem meistens alles abgenommen wurde, was unbequem ist, gibt es einen inneren Widerstand gegen regelmäßiges Üben. Hier kann die Yogapraxis dazu beitragen, andere Erfahrungen zu machen und Unterscheidungsfähigkeit zu entwickeln.
    Oder wurde Anstrengung und Disziplin abgewertet („StreberIn“) oder war es nie (gut) genug? Es gibt die Form der „Unterspiegelung“, d.h. die Anstrengung oder das Ergebnis werden nicht angemessen gewürdigt. Dann ist die Erfahrung: Anstrengung lohnt sich nicht. Es reicht sowieso nie. Die Ursache für Trägheit ist das Aufgeben.
    Oder gab oder gibt es negative Erfahrungen von Neid, Mißgunst und Ausgrenzung von anderen? Und um diese Erfahrungen zu vermeiden, nimmt man sich selbst zurück.

Es gibt noch weitere subtilere Ursachen für Trägheit- die klesa (YS 2.3):

  • Asmitā-Das Ego. Unser Ego hat ein bestimmtes Selbstbild. Dieses Selbstbild setzt sich zusammen aus den Erfahrungen in der Welt und aufgrund der Interpretation(!) der Rückmeldungen der anderen. Dieses Selbstbild möchte sich unser Ego bewahren, weil davon seine Existenz abhängt. Dies gilt selbst bei abwertenden Selbstzuschreibungen und Einstellungen, die uns Leid bringen. Das Ego will keine Veränderung, sondern will an Altem und Bekannten festhalten. So kann es sich als Trägheit und Widerstand zeigen und uns von der Praxis abhalten.
  • Dieses Festhalten wird als rāga bezeichnet und ist ein Aspekt von styāna. Unser Selbstbild-unser Ego-ist Teil des Hindernisses auf dem Weg zum  Bewusstsein des Selbst. Hier brauchen wir vairāgya, die Fähigkeit, diese alten Vorstellungen loszulassen. Es braucht Zeit, die verschiedenen Vorstellungen zu erkennen und sie nach und nach loszulassen. Dieses geschieht, je mehr wir unser wahres Selbst erkennen und alle diese Muster nicht mehr brauchen.
  • Das Gegenteil von rāga ist dvesa. Der Widerstand gegen alles, auch gegen die Yogapraxis, was das Ich/Ego gefährden könnte. Wenn wir z.B. ein bestimmtes Bild von einem gesunden und leistungsfähigen Körper haben und ein āsana nicht so ausführen können, wie unser Geist es für richtig und perfekt hält, dann möchte das Ego diese Erfahrung meiden. Das beschädigt das Selbstbild und zeigt darüberhinaus seine Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit.
  • Die Wurzel dieser drei klesa ist das letzte klesa: abhinivesa-die Angst. Die Angst, sich selbst zu verlieren und aufzulösen ist unsere größte Angst. Deshalb sabotiert das Ego vielleicht die Yogapraxis. Wir wollen das Ego im Yoga nicht auflösen und verlieren, denn wir brauchen es im Alltag. Wir wollen ihm nur eine andere Rolle geben: Nicht die des Herrschers, sondern des Dieners des Selbst- vom Chef zum Mitarbeiter/zur Mitarbeiterin.
  • Diese Angst wiederum wurzelt in avidyā-der Illusion unseres Ego, dass es das Selbst ist und sich somit auflösen kann. Je mehr wir dem Ziel von Yoga, dem Bewusstseinszustand kommen, desto mehr löst sich die Illusion auf und dann wie Dominosteine die Angst, der Widerstand und das Festhalten-die Ursachen von styāna.

Ein träger Geist ist ziemlich komplex, wenn man unter die Oberfläche schaut und nicht einfach nur Faulheit und Bequemlichkeit unterstellt. Und so kann dieses Hindernis sehr wertvoll sein und uns helfen, unseren Geist besser kennenzulernen. Wir können die Ursachen unseres Leids und unserer Probleme erkennen. Eine Veränderung ist nur möglich, wenn wir Akzeptanz und Verständnis aufbauen.

Im sutra 1.31 werden die Auswirkungen der antarāya beschrieben und welches Leid sie in uns auslösen können: innerer Druck, innere Enge, Depression, emotionale Instabilität, schlechte Atmung und psychische Unruhe, Zerstreutheit. Die Yogapraxis kann uns helfen, diese Folgen zu vermeiden-für unseren Alltag und unseren Weg zur Bewusstheit.

Schließlich kann uns die Erfahrung helfen, dass alles vergänglich ist, alles ein „Spiel“ der drei guna. Auch styāna, die Trägheit, ist vergänglich. Dann muss man der Trägheit keine Bedeutung geben -und bleibt beharrlich bei der Praxis und auf dem Weg.

Die Datei mit der Aussprache der Sanskritbegriffe

Bild: Edoardo Tommasini_pexels