Alle Jahre wieder – Eine Betrachtung zum Advent

Kretisches Adventslabyrinth Hl-Kreuz-Kirche in Frankfurt/M.

Das Thema Advent in einem Beitrag über Yoga? Was gibt es über die abendländische christliche Tradition in Verbindung zur indischen Philosophie zu sagen? Der Versuch einer Annäherung.

Der Begriff Advent stammt laut einem umfangreichen und lesenswerten Bericht bei wikipedia von dem lateinischen adventus, übersetzt Ankunft bzw. dem griechischen epipháneia, d.h.Erscheinung. Ursprünglich hieß es adventus domini, also Ankunft des Herrn/Herrschers. Dieser Begriff bezog sich im römischen Reich auf die Ankunft von Königen und Kaisern und wurde von den Christen für die Wiederkehr Jesu übernommen.

Eingeführt wurde die Adventszeit im 4. Jh. n. Chr. zur Erinnerung sowohl an die Geburt als auch die Wiederkehr Jesus Christus. Sie war, angesichts der Lebkuchen, Plätzchen und des Marzipans heutzutage kaum zu glauben, eine Zeit des Fastens und der Buße als Vorbereitung auf die Rückkehr des Messias. Aus der sechswöchigen Fastenzeit, die es in der Ostkirche noch gibt, wurde im 7. Jh. n. Chr. in der lateinischen Kirche die vierwöchige Adventszeit. Der Bautzener Weihnachtsmarkt 1384 – Wenzelnmarkt genannt- soll der erste Weihnachtsmarkt gewesen sein.1839 gab es den ersten „Adventskranz“, seit Anfang des 20. Jahrhunderts den Adventskalender.


Der Ursprung im jüdischen Glauben

Der Ursprung von Weihnachten liegt im Judentum. Die Juden verstehen sich als ein spirituelles Volk. Das zeigt sich in der Bibel, im Alten Testament, in dem die Beziehung zu einem Gott (Jahwe) im Zentrum steht. So führt nicht ein Kaiser oder Feldherr wie bei den Römern und Griechen, sondern Gott die Juden aus der Knechtschaft Ägyptens in die Freiheit.
Wie in anderen Völkern gibt es auch im jüdischen Volk Menschen, die stärker in der Spiritualität verwurzelt sind und deshalb einen direkten Kontakt mit dem Höchsten, Gott, haben; vergleichbar mit Schamanen, Priestern oder Yogis in anderen Völkern. Sie sind die Vermittler und Überbringer der spirituellen Botschaften.

Einer der spirituellen Botschafter war Moses. Deshalb konnte er, so das Alte Testament, das jüdische Volk aus der Sklaverei nach Hause führen. Obwohl immer von Gott wie von einer Person die Rede ist, wird er nicht beschrieben. Auch erscheint er nicht dem ganzen Volk, sondern dem Moses allein. Bei der ersten Begegnung spricht Gott aus einem brennenden Dornbusch, als er Moses den Auftrag erteilt, die Juden aus Ägypten zu führen. An anderer Stelle heißt es, Moses habe die Steintafeln mit den Zehn Geboten erhalten, auf die Gott mit seinem Finger die Regeln geschrieben habe. Es gibt keine Beschreibung von Gott, keine direkte Begegnung. Vielmehr sagt Gott von sich „Ich bin der ich bin“ oder „Ich bin der Seiende“ und eines seiner Gebote sagt, die Menschen sollen sich kein Bildnis von ihm machen.

Das kommt einer Bewusstseinserfahrung wie sie im Yoga beschrieben wird nahe. Auch in den alten indischen Texten gibt es einen purusa oder īsvara als das Höchste, aber sie sind keine Gottheiten. Licht (jyoti) wird in den Weisheitstexten oft als Symbol für die höchste, allumfassende Erkenntnis verwandt. Dazu passt das Bild des Feuers. War Moses in der yogischen Terminologie ein spirituell Suchender? Und hat er versucht, dem Volk seine Erfahrung über diese Bilder mitzuteilen?

Waren auch die Weisen aus dem Morgenland spirituelle Sucher? Sie werden auch Könige, Magier oder Sterndeuter genannt. Aber wozu die weite und sicherlich beschwerliche Reise zu einem fremden König? Erwarteten auch sie einen spirituellen Menschen?

Ein abstrakter Gott scheint aber für den menschlichen Geist nicht zu taugen und so wurde daraus ein väterlicher alter Mann auf einer Wolke, der fürsorglich und wohlmeinend war, wenn sich die Menschen brav an seine Regeln halten und streng und strafend, wenn sie mal wieder von dem von ihm vorgegebenen Weg abweichen. Das passt eher zum Über-Ich eines Sigmund Freud als zu einer spirituellen alles Leben erschaffenden und erhaltenen Kraft. Vielleicht ist es auch der Erklärungsversuch des egozentrischen Kleingeistes, der selbst die Naturphänomene oder -gewalten auf sich selbst bezieht: Wenn die Menschen sich wohlverhalten, zeigt sich das in einer guten Ernte und Glück, wenn sie gegen die Gebote verstoßen, werden sie mit Feuer, Dürre oder Flut bestraft. Das würde in der Konsequenz bedeuten, Menschen könnten über die Natur gebieten.


Die indische Spritualität und Yoga

Auch in Indien gibt es diese Denkweise. Mit verschiedenen Ritualen und Opfergaben sollen die Götter wohlgewogen gestimmt werden. Und auch dort gibt es viele Gottesbilder und Statuen. Diese Bilder dienen nicht einer realistischen Darstellung der Götter als Person, sondern deren Eigenschaften und Funktionen, so dass sie manchmal halb Mensch halb Tier sind oder viele Arme haben usw.

In den alten Texten über Yoga gibt es eine solche Denkweise nicht. Es gibt in diesem alten Verständnis keinen äußeren Gott, den es zu beeindrucken gilt.

Yoga ist die Befreiung von jetzigem und zukünftigen Leid (YS 2.16). Dieses Leid hat seine Ursache in bestimmten Funktionsweisen des Geistes, die zu einer Lebensweise führen, die dem christlichen Begriff der Sünde entspricht. Yoga ist die Transformation des Geistes von einer leidbringenden (klista YS 1.5) zu einer leidfreien (aklista) Funktionsweise. Dieser Ansatz bedeutet, dass es keinen Erlöser braucht, dass es sogar keine Erlösung durch andere geben kann. Das wäre nur mittels Manipulation oder „Gehirnwäsche“ möglich.


Sprituelle Erfahrungen

In der Meditation haben die „spirituellen Sucher“ die Erfahrung eines besonderen Bewusstseins gemacht. Es war ihre persönliche, unmittelbare (Gottes-) Erfahrung, nicht eine Idee oder Vorstellung. Wonach haben sie gesucht? Sie wollten Antworten, wann und wie das Leben, die Welt, das Leid entstehen und vergehen und wie man sich von diesem Leid befreien kann.

Dieser Wunsch nach der Befreiung von Leid und der Erfahrung dessen, die göttlich genannt wird, der Wahrheit und Erkenntnis liegt allen spirituellen und religiösen Traditionen zugrunde. Der Weg zu dieser Erfahrung ist sehr unterschiedlich.

Eine Gemeinsamkeit zwischen den alttestamentarischen Berichten über Moses und den spirituellen Suchern in Indien besteht darin, dass die Begegnung mit dem Göttlichen immer in der Einsamkeit, in der Stille, abseits der Masse geschah. Moses ging jeweils auf einen Berg, die Yogis in die Wälder. Yoga ist das zur Ruhe kommen des Geistes. Das kann eher in einer stillen natürlichen Umgebung geschehen. Im Alltag ist der Geist mit verschiedenen Aufgaben und Beschäftigungen ausgelastet und die Erfahrung mit dem Höchsten ist überlagert.

Der Unterschied zwischen dem Christentum und dem Yoga besteht darin, dass nach den Schilderungen der Bibel Moses eine äußere Erscheinung erlebte, die Yogis das Göttliche jedoch in sich finden. So ist die Ausrichtung nach wie vor unterschiedlich: Juden und Christen erwarten einen Erlöser, Yogis suchen das Göttliche in sich jenseits des Verstandes in einem außergewöhnlichen Zustand. Das hat unterschiedliche Konsequenzen.

Es gibt und gab Christen, die auch von solchen inneren Gotteserfahrungen berichten, z.B. Teresa von Avila, Johannes vom Kreuz oder Franz von Assisi. Sie werden als Mystiker bezeichnet. Es  gibt also immer wieder Menschen, die unmittelbare Erfahrungen machen. Sie passten nicht in das Konzept der Kirche und des Adels. Sie waren eine Bedrohung für die Machtverhältnisse, denn Menschen mit solchen Erfahrungen sind unabhängig und nicht kontrollier-und steuerbar. Sie opfern sich sich nicht auf Schlachtfeldern für das Ego einiger Mächtiger. Sie sind nicht empfänglich für eingeredete Schuldgefühle und nicht erpressbar (Ablass). Denn sich suchen die Lösung ihrer Probleme nicht bei Pfaffen, Bischöfen, Päpsten, Feldherren oder Königen. Die Macht und der Reichtum der Kirche und weltlichen Mächtigen ist nur möglich mit dem Bedürfnis der Mehrheit der Menschen nach einem äußeren Retter. Deshalb wurden einige von ihnen auch verfolgt und ihre Erfahrungen konnten sich nicht verbreiten.

Für Menschen ist die Idee eines äußeren Erlösers/Retters entlastend und bequem. Dann liegt die Verantwortung sowohl für das eigene Leid (Opferhaltung) als auch für das Wohlbefinden bei jemanden anders.

Der Weg des Yoga und der Mystiker ist anstrengender. Es kostet Mut und Kraft, sich mit den eigenen Gedanken, Gefühlen und Verhalten auseinanderzusetzen. Das ist nicht immer angenehm. Vielmehr sind es die in der Psychologie „Schattenseiten“ genannten Persönlichkeitsanteile, die wir nicht gern „beleuchten, ans Licht bringen“, sondern lieber im Dunkel des Unbewussten lassen. Aber davon kann uns kein anderer erlösen, nur wir selbst. Das ist ein lebenslanger Prozess. Und es gibt keine Beichte, keinen Ablass.

Dies mögen zwei Gründe sein, warum die Mehrheit der Menschen immer noch die Autorität im Außen sucht.

Martin Luther reformierte die Kirche, indem er die persönliche Beziehung zu Gott als alleinigen Heilungs- und damit Befreiungsweg ansah. Das kommt dem Yoga nahe. Es ist ein persönlicher Weg, den der Mensch nur selbst gehen kann. Es ist ein innerer Prozess. Diesen Gott kann man sich außerhalb von sich selbst oder im Innern vorstellen.

Auch im Yoga muss der menschliche Geist die „Arbeit“ nicht allein machen. Er wird von etwas, das isvara genannt wird, einer göttlichen Kraft, geführt. Die Hingabe (īsvarapranidhāna YS 2.45) an diese Kraft und das feste Vertrauen (shraddha YS 1.20) in diese Kraft sind ein Bestandteil des Yogasutra. Da diese Kraft oder Energie nicht an eine feste Form gebunden ist, haben Menschen die Freiheit sie sich auch als einen Gott vorzustellen, wenn es hilfreich ist. Yoga ist daher unabhängig vom individuellen Glaubenssystem und mit allem vereinbar. Wenn erstmal der Zustand von kaivalya erreicht ist, ist das Bild nicht mehr notwendig. Vielmehr löst es sich durch das Erkennen der Wahrheit und Wirklichkeit selbst auf.


Die Zehn Gebote und die yama und niyama

Eine weitere Grundlage für Advent und Weihnachten liegt in den Zehn Geboten. Moses nahm diese im direkten Kontakt mit Gott entgegen. Nach vielen Jahrhunderten in der Sklaverei waren die Menschen nicht geübt, sich selbst Regeln zu geben. Die Gefahr von Chaos und Anarchie war gegeben. (So geschehen nach dem Ende der Monarchie in Frankreich und Deutschland und der Diktatur des Dritten Reiches, in Ländern nach der Entkolonialisierung). So gab Gott, als verantwortungsbewusster spiritueller Führer, diese Regeln vor. Es heißt, sie waren ein Bund mit dem Volk, also verbindlich. Sie waren die Basis für das Miteinander mit Gott und auch für die Menschen untereinander. Sie sollten den Frieden sicherstellen. Wie es bei uns Menschen so ist, versprechen wir vielleicht schnell Dinge oder sind zu Opfern bereit, wenn es uns schlecht geht (weniger essen, rauchen, mehr bewegen, aufmerksamer sein) und vergessen diese Versprechen schnell wieder, wenn es uns gut geht. So ging es auch den Juden in ihrer neuen Freiheit. Sie hielten sich nicht an die göttliche Ordnung. Aus Frust und Wut darüber zerschmetterte Moses die Tafeln, aber Gott waren die Regeln so wichtig, dass er sie ein zweites Mal schrieb.

Sünde oder Leid entsteht wenn Menschen sich außerhalb der höheren oder göttlichen Ordnung bewegen. Übrigens lebt bekanntlich ein großer Teil der Menschheit seit Jahrzehnten nicht mehr im Einklang mit dieser Ordnung und steuert deshalb gerade auf eine existenzielle Katastrophe und großes Leid zu.

Vielleicht nicht zufällig gibt es Parallelen zwischen den Zehn Geboten des Alten Testaments und den yama (YS 2.29 ff) und niyama (YS 2.40) im Yogasutra. Es ist die gleiche Quelle. Sie sind universell und unabhängig von Religionen. Auch hier ist es dasselbe Prinzip wie oben beschrieben: Im Yoga liegt diese Erkenntnis im Menschen selbst und er muss den Weg selbst gehen. In der Bibel bekommen die Menschen diese Gesetze von einer großen mächtigen Autorität. Die Gebote sind die Lösung und der Weg für ein „gottgefälliges“, rechtes Leben und werden von außen gegeben. Oder war es ein spirituelles inneres Erkennen des Moses?

Diese Parallelen sind aus mehreren Gründen in Bezug zu Yoga interessant:

  • Eine Lebensweise nach den Zehn Geboten und den yama und niyama ist im Alltag eine große Herausforderung und zu scheitern bzw. zu sündigen ist ziemlich wahrscheinlich. Der Alltag fordert Kompromisse.
  • Die Regeln der Menschen untereinander betreffend, gibt es Parallelen zu yama und niyama im Yogasutra und anderen alten Texten. Weil auch im Yogasutra zehn Regeln genannt werden, werden sie oft verglichen. Das Gebot „Du sollst nicht töten“ klingt ähnlich wie ahimsa (YS 2.35), das Nichtverletzen oder die Gewaltfreiheit.
  • Die Ausgangssituation und das Ziel liegen auf den ersten Blick weit auseinander: Das Gebot ist bei näherer Betrachtung ein Ver-bot. Auch andere Gebote sind sprachlich Verbote. Ihr Nichtbefolgen bzw. Zuwiderhandeln wird bestraft. Diese Strafe trifft die Menschen nicht sofort, sondern im Jenseits. Sie kommen erstens nicht in den ersehnten Himmel zu ihrem Gott und werden zweitens mit der Hölle bestraft, in der die grausamsten Dinge geschehen. Und dort gibt es kein Entrinnen. Das ist keine lebenslängliche Strafe, denn es gibt ja keinen Tod mehr, sondern eine ewige. Es stellt sich hier die Frage, ob ein Gott sich so etwas ausdenken kann und das wirklich seinen Geschöpfen zumuten will oder die Vorstellung nicht doch menschlicher Fantasie entspringt. Schon damals war die Strategie, Menschen mit Horrorgeschichten einer großen Angst auszusetzen, um sie manipulieren und steuern zu können, schon in der Welt. Und später wurde daraus ein lukratives Geschäft- der Ablasshandel. Denn die Ge-bzw. Verbote widersprechen der menschlichen Natur. Sonst hätte man sie nicht gebraucht. Sie sollten diese Natur unter Kontrolle halten und haben ihren Sinn. Weil aber die Natur stärker ist als der Geist (nicht der Geist ist willig und das Fleisch ist schwach sondern umgekehrt), „sündigen“ Menschen. Darüberhinaus war auch die Formulierung der Zehn Gebote interpretationsfähig, weil sie als Verbote formuliert waren. „Du sollst nicht töten“ klingt eindeutig, aber was ist dann das richtige Verhalten? Dürfen wir dann jemanden anderen schädigen oder verletzen, solange wir ihn am Leben lassen? Das Gegenteil ist nicht die einzige Möglichkeit. Wenn wir sagen „Komm nicht zu spät“- weiß dann der andere, was genau wir erwarten?
  • Aus diesen Fragen entwickelte sich dann ein kompliziertes Regelwerk, das zu befolgen für den Menschen im Alltag kaum möglich ist. Es ist kaum zu vermeiden, zu sündigen. Aus diesem Dilemma entwickelte sich dann die Pharisäer-, Priester- und in Indien die Brahmanenkaste. Sie hatten die Aufgabe, die Regeln zu erklären, deren Einhaltung zu kontrollieren und Vergebungs-oder Bußrituale durchzuführen. Es versteht sich von selbst, dass sie kein Interesse an mystischen Erfahrungen hatten, denn das hätte sie um ihre angesehene Stellung, ihre Macht und ihr Einkommen gebracht. Das Verhältnis zum „Mystiker“ Jesus, der öffentlich ihre Stellung anprangerte, war naturgemäß angespannt.
  • Damit Menschen der Hölle entgehen können und sich die Chance auf den Himmel erhalten, wurde das Instrument der Buße eingeführt. Das verschaffte den Gläubigen Entlastung und verleiht den Autoritäten, den Priestern, Macht. Es hat sich dann später auch buchstäblich ausgezahlt.
  • In der Bibel ist aber noch eine weitaus größere Hilfe vorgesehen. Diese führt zum Thema Advent: Die Befreiung der Menschen durch einen „Erlöser“, den Gott auf die Erde schickt, um die ganze Menschheit von ihren Sünden, d.h. ihrem Leid zu erlösen und „mit Gott zu versöhnen“. Das ist für die Christen mit der Geburt Jesu geschehen. Und laut dem Neuen Testament kommt er ein zweites Mal wieder. Nach dem alten Testament 4000 Jahre nach dem „Sündenfall“. Dazu gibt es in der Bibel keine konkrete Zeitangabe, weshalb es ungewiss ist. Und so zelebrieren wir jedes Jahr Advent. Diese Wiederkehr wird auch als „Fleischwerdung“, als Rückkehr eines göttlichen Wesens in einen Körper beschrieben. Das Göttliche nimmt wieder eine Form an. Und diese Form ist für die Menschen erfahrbar. Auch in Indien gibt es die Erfahrung, dass weise (erleuchtete) Wesen oder Götter immer wiederkehren, wenn die Menschen die Spiritualität verloren haben. Sie inkarnieren (carne bedeutet Fleisch) und kommen als Avatare wieder um den Menschen, die für die Erfahrung reif sind, die spirituellen Erfahrungen zu ermöglichen. Diese Menschen haben dann die Aufgabe, sie weiterzugeben, zu lehren. Manche indische Lehrer leiten ihren „Stammbaum“ von diesen Avataren ab. Die Avatare werden nicht als Erlöser gesehen und so gibt es auch kein Warten auf deren Erscheinen.

Die yama und niyama

  • Anders die yama  (YS 2.29 ff.) und niyama ( 2.40): Sie sind weder Ge- noch Verbote. Deshalb kann man im herkömmlichen Sinne weder bestraft noch belohnt werden. Sie sind auch unabhängig von einer äußeren Autorität. Vielmehr sind sie anzustrebende innere Zustände, um den Geist zur Ruhe zu bringen: Ein innerer Zustand frei von gewalttätigen, aggressiven Gedanken, authentisch, ehrlich, frei von Sucht und Gier, reine Gedanken, ausgerichtet auf das spirituelle Ziel der Befreiung von den klesa (YS 2.3) und damit von allem Leid. Die klesa sind die natürlichen, auch biologischen, Triebe von Angst, Täuschung, Gier und Ablehnung. Sie steuern das Leben, wenn wir uns nicht bewusst mit ihnen auseinandersetzen. Der in der Bibel genannte Begriff Sünde meint dasselbe.
  • Wenn die klesa durch den achtgliedrigen Yogaweg, deren ersten beiden Glieder die yama und niyama sind, geschwächt werden, ist es möglich den Zustand von kaivalya zu erfahren- im christlichen Sinne, eine Gotteserfahrung zu machen. Es geht um das Erreichen eines besonderen Bewusstseinszustandes und dem Erkennen der letztendlichen Wahrheit. Das ist die Befreiung, kaivalya. Die yama und niyama sind zwar keine Ge-oder Verbote, aber sie sind mehr als unverbindliche Vorschläge, denn sie sind zwingend Voraussetzung für den Yogaweg. Die Belohnung kommt aber nicht erst im Jenseits und nicht von außen, sondern sie kann im jetzigen Leben erreicht werden und wird innerlich erfahren. Eine Strafe gibt es auch nicht, außer dass der Mensch weiter im Leid verharrt.

Der Advent und svādhyāya

Die Adventszeit war und ist für Christen die Zeit der Erinnerung an den Erlöser und die Erwartung der Wiederkehr des Erlösers. Als Vorbereitung auf das Fest der Geburt ihres Erlösers sollten die Menschen in der Zeit nicht durch Festivitäten abgelenkt sein sondern fasten, sich nach innen kehren und Buße tun. Es ist eine Zeit der Selbstreflektion, wie auch die Fastenzeit vor Ostern. Die Adventszeit liegt zwar am Ende unseres Kalenderjahres, ist aber der Beginn des Kirchenjahres. Man beginnt das Jahr also mit einer inneren Reinigung, auch um „reinen Herzens“ dem Erlöser begegnen zu können.

Im Yogasutra heißt diese Selbstreflektion svādhyāya, das Selbststudium. Es steht am Beginn des zweiten Kapitels, dem sādhana pada. Das bedeutet Übungsweg. Die Erlösung oder das Erkennen der Wahrheit kommt nicht von außen sondern ist ein innerer Prozess. Während des ganzen Übungsweges gilt es zu erkennen, wie der Geist funktioniert, was Leid bringt und was das Erkennen verhindert. Die Selbstreflektion hat eine große Bedeutung und das macht die Position ganz am Anfang des Kapitels deutlich. Die Selbstreflektion geht dann mehr und mehr über in einen meditativen Prozess und Zustand.

Für svādhyāya braucht man Ruhe, Stille, wenig Ablenkung und Rückzug. Das sollte die Adventszeit den Christen sagen. Es funktioniert nicht, wenn man weiter lebt, wie im Rest des Jahres.

Wie passt das zu den Weihnachtsmärkten und -feiern? Sie sind zum einen Ausdruck einer zunehmend säkularen Welt. Im Laufe der Jahrhunderte ging mehr und mehr die Essenz der Lehre verloren und es blieb die Form übrig. Dies ist übrigens auch im Yoga zu beobachten. Den kommerziellen Aspekt lassen wir mal außen vor. Die Märkte sind wieder eine Ablenkung von außen. Die Zeit wird nicht für die Selbstreflektion genutzt. Vielleicht vermeiden manche Menschen unbewusst die Stille um nicht nach innen schauen zu müssen.

Andererseits sind die Weihnachtsmärkte Orte der Begegnung. Und was spricht dagegen, wenn sich Menschen in friedlicher und freundlicher Absicht begegnen und die Weihnachtsmärkte den Rahmen dafür bieten? Schließlich heißt es im neuen Testament „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich unter euch“. Weihnachtsmärkte können zu Orten der Verbundenheit werden, an denen sich Menschen ohne Stress begegnen können. Es sind Begegnungen an der frischen Luft und statt smileys und emoticons, Abkürzungen und Zeichen, Bildern von Gesichtern oder gar virtuelle Avatare treffen wir echte Menschen, hören menschliche Stimmen, sehen die Gefühle in den Gesichtern und der Körperhaltung, sehen den Atem und spüren uns als menschliche Wesen, die sich gegenseitig nähren. Es ist heilsam für uns, für einige Zeit frei zu sein von Stress und Sorgen. Was ist daran schlecht?

Alternativ oder zusätzlich kann man sich auch zur Meditation treffen und sich in der Meditation verbinden. Eine solche Verbindung kann auch sehr intensiv sein, weil alle auf derselben „Wellenlänge“ sind. Die Chance, die besonders diese Zeit der Dunkelheit bietet, in der die „Welt keinen Aufforderungscharakter hat“ (Zitat einer Teilnehmerin) sollte man nicht verpassen.

In diesem Sinne wünsche ich in Verbundenheit eine besinnliche Adventszeit um dann mit neuer Klarheit das Weihnachtsfest zu genießen und in das neue Jahr zu starten.