Der achtgliedrige Weg: 6.Dharana YS 3.1

Die Konzentrationsspanne, d.h. wie lange die Konzentration auf ein Thema erhalten bleiben kann, nimmt ab. Zumindest behaupten dies einige Fachleute. Wer Menschen beobachtet, kann feststellen, dass es üblich ist, ein Video nicht bis zum Ende zu schauen. Manche Künstler begrenzen ihre Stücke auf zwei Minuten. Lange Stücke von vier bis fünf Minuten lassen sich nicht mehr gut verkaufen. Der Trend zu tweets und posts selbst in Bereichen wie Wirtschaft, Wissenschaft und Politik und auch im privaten Kontakt ist selbstverständlich und salonfähig geworden. Es scheint tatsächlich so, als sinke die Aufmerksamkeitsspanne. Eine Form der Wegwerfgesellschaft auf einer anderen Ebene. Welche Auswirkungen das haben könnte, ist durchaus ein paar Gedanken wert. Im Yoga geht es darum, die Aufmerksamkeitsspanne immer weiter auszudehnen. Die Aufmerksamkeitsspanne des Alltags reicht nicht. Wir müssen die Fähigkeit der langanhaltenden Konzentration, oder wie es im Yogasutra heißt, dhāranā, kultivieren.

Dhāranā ist die Fähigkeit des Geistes, sich auf einen Punkt, auf ein Thema (z.B. Atem) zu konzentrieren und die Konzentration dort zu halten heißt es in dem sutra: desha-bandhah cittaya dhāranā (YS 3.1). Wie erlangen wir diese Fähigkeit?

  • Der Weg von vyutthitha citta zu dhāranā
  • In welcher Beziehung steht dhāranā zu den anderen Gliedern?
  • Welche Rolle spielt dhāranā auf dem Yogaweg? Welche Bedeutung hat dhāranā für das Erreichen des Ziels? Für das Ziel?
  • Dhāranā in der Yogapraxis
  • Dhāranā im Alltag

Der Weg von vyutthita citta zu dhāranā

1.Samādhi pāda

Das erste Kapitel des Yogasutra trägt die Überschrift „samādhi pāda“. Das Wort pāda in Sanskrit hat Ähnlichkeit mit dem deutschen Wort Pfad oder dem englischen Wort path. Die indogermanischen Sprachen gehen auf Sanskrit zurück. Diese Überschrift drückt aus, worum es im Yogasutra geht: Um einen Pfad oder Weg. Beides steht für Bewegung, die einen Anfangs-oder Ausgangspunkt hat und einen Endpunkt oder Ziel. Wohin führt uns der Weg? Was ist das Ziel? Das Ziel heißt kaivalya (YS 2.25/3.55) – ein uns noch unbekannter Bewusstseinszustand. Samādhi pāda ist der Weg. Es handelt sich bei diesem Weg um eine innere Reise, eine Reise tief in unseren Geist und darüberhinaus in unser Bewusstsein. Es ist keine Reise durch die äußere Welt.

Warum ist kaivalya ein Ziel? Warum sollten wir diese Reise, die wie jede Reise Zeit und Energie erfordert, Ungewissheiten und Unwägbarkeiten beinhaltet antreten? Wer sollte diese Reise antreten? Das Ziel ist die Erkenntnis und die Antwort auf Fragen nach dem Sinn des Lebens, der Existenz, des Leids und des Freiwerdens davon, des Glücks und vor allem auf die Frage wer wir wirklich sind, nach dem Selbst. Für diese Fragen bieten unser Alltag und unser Verstand keine Anworten. Es ist eine Reise für Suchende nach Antworten auf diese Fragen, dessen Ziel ein Zustand der Befreiung aus dem Leid und die Erlangung dauerhaften Glücks ist. Das wird spirituelle Suche genannt.

Bei kaivalya handelt es sich also um große Menschheitsfragen und um sehr persönliche Themen gleichermaßen. Das Yogasutra bietet für diesen Weg eine Hilfestellung, eine Begleitung, eine Landkarte um zum Ziel zu gelangen.

  • Vyutthita citta

Das Ziel ist ein Bewusstseinszustand, der uns unbekannt ist. Wir können nur mit unserem Geist, wie er jetzt funktioniert, beginnen. Im Alltag kümmern wir uns im allgemeinen wenig darum, was in unserem Geist geschieht und wie er funktioniert. Wir sind zu sehr mit unserem Tun in der Welt beschäftigt. Nur wenn es Schwierigkeiten gibt, es nicht so läuft, wie wir uns das denken oder wir in Sorgenschleifen festhängen schauen wir vielleicht hin, was im Geist los ist und wie wir die Probleme lösen können.

In Kommentaren zum Yogasutra wird dieser Zustand unseres Geistes (citta) im Alltag als vyutthita citta bezeichnet. Der Geist ist unruhig (viksipta oder viksepa YS 130/1.31) und leicht ablenkbar. In diesem Zustand, in dem der Geist ständig in Bewegung ist, ist es unmöglich, kaivalya zu erfahren. Der Geist identifiziert sich dann mit diesen Bewegungen (vritti sarūpyam YS 1.4)- das bin ich, das ist mein Problem, meine Aufgabe usw. Diese Identifikationen bilden unser Ego. Dies wird im zweiten Kapitel als das klesa asmitā (das Ich/Ego YS 2.6) und als avidyā (Täuschung YS 2.4/2.5) aufgegriffen und ausgeführt.

Der Zustand des Geistes muss sich vom leicht ablenkbaren zum ruhigen Geist verändern. Deshalb heißt es gleich zu Beginn des Yogasutra 1.2: yogah cittavritti nirodhah- Yoga ist das zur Ruhe kommen der Bewegungen (Gedanken und Gefühle) des Geistes. Der Geist wird still. Wenn der Geist still ist bedeutet es auch, dass die Identifikationen nicht mehr vorhanden sein können, denn auch Identifizieren ist eine Tätigkeit des Geistes. Der Geist wird still, die Identifikationen gibt es nicht mehr und was dann bleibt ist der Zustand des Selbst-kaivalya.

Wie ist es möglich, mit unseren Geist vom Zustand des viksepa zum Zustand von nirodha zu kommen? Dass es möglich ist, wird im Yogasutra beschrieben.

2. Sādhana pāda

Das zweite Kapitel ist überschrieben mit sādhana. Sādhana bedeutet Übungen oder Praxis. Der im ersten Kapitel beschriebene Weg samādhi pāda ist für die meisten Menschen zu schwer. Deshalb werden im zweiten Kapitel konkrete Hinweise und Schritte erläutert.

Zuerst geht es in diesem Kapitel um das Verständnis, was die Triebfeder dieser ständigen Aktivität im Geist ist. Denn bevor man übt, ist es sinnvoll, sich zuerst zu orientieren, worum es geht. So beginnt das Kapitel über die Übungen und die Praxis zunächst mit einer Beschreibung des Problems. Wenn die Quelle der inneren Unruhe erkannt ist und verstanden wird, gibt dies Ansatzpunkte für Handlungsmöglichkeiten und Verständnis für die Schritte. Die Quelle aller Unruhe und Ablenkung im Geist sind die klesa (YS 2.3ff), die unser Ego bilden, das permanent mit sich und der Welt beschäftigt ist. Sie müssen nach und nach geschwächt werden. Gleich zu Anfang des Kapitels wird auf ihre Macht und Wirkung hingewiesen. Es wird deutlich, dass sie nicht zu unterschätzen sind, denn es braucht Leidenschaft, „Feuer“ (tapas), volles Vertrauen in die Führung durch die große innere Kraft (īsvarapranidhāna) und ein Selbststudium (svādhyāya) für diesen Weg. Das wird kriyā yoga genannt (YS 2.1). Das ist das Yoga des Handelns, der Tat (kriyā). Dieses Handeln umfasst alle Ebenen: den Körper, den Alltag und den psychisch-mentalen Zustand. Die drei Elemente des kriyā yoga sind so bedeutsam, dass sie sogar ein zweites Mal als Übungen der niyama im Kapitel erscheinen.

Auf diesen Erklärungen baut der Übungsweg auf, der die Hindernisse und klesa reduziert und zu samādhi führt. Samādhi wird im dritten Kapitel beschrieben. Das ist noch noch nicht kaivalya, sondern der Zustand, den es zu erreichen gilt um von dort in den Zustand von kaivalya zu gelangen.

Um den Bewusstseinszustand zu erreichen braucht es also das Zutun, Bemühen und eine Aktivität des Suchenden, sādhana. Dieses Bemühen ist kein einmaliges Bemühen, sondern ein ständiges, langandauerndes Bemühen, je nachdem wie lang der persönliche Weg ist.

Astanga yoga YS 2.29

Nach diesen ausführlichen Erklärungen beginnt der achtgliedrige Weg des Yoga.
Dieser Weg, alles was dort beschrieben wird, ist Yoga. Yoga ist das Mittel, das Werkzeug oder die Methode um zum Zustand von samādhi und letztendlich zu kaivalya zu gelangen. Diese Mittel sind-Praxis! Es sind Übungen, wie die Überschrift des Kapitels es ausdrückt. Es sind acht (as) Mittel oder wörtlich: Glieder (anga), wozu auch dhāranā gehört. Sie gehören alle zusammen und alle sind wichtig. Sie sind nicht alle gleichzeitig im Fokus, aber mit der Zeit müssen alle acht Glieder Teil der Praxis sein. Wie bei Gliedern einer Kette, berührt man auch andere, wenn man den Faden an einer Stelle aufnimmt. Nimmt man sich nur einzelne Glieder heraus, führt das zu Veränderungen, aber über einen bestimmten Punkt kommt man nicht hinaus und kann das Ziel somit nicht erreichen. Die Reihenfolge hat eine Logik. Es besteht jedoch die Freiheit, die Reihenfolge auszuwählen, solange man schließlich alle übt.


In welcher Beziehung steht dhāranā zu den anderen Gliedern?

Auf dem Weg vom unruhigen Geist (citta viksepa) zum ruhigen Geist (samahita citta) setzen wir uns mit der Funktionsweise unseres Geistes, den klesa, auseinander (svādhyāya). Sie wirken auf allen Ebenen und so müssen wir den Zustand unseres Geistes mit angemessenen Mitteln schrittweise immer mehr in Richtung Ruhe verändern. Das geschieht mit Hilfe der Praxis der Glieder des Yogaweges: Dadurch (tatah) entsteht Widerstandsfähigkeit (anabhighātah) gegen äußere Einflüsse (dvandva YS 2.48). Oder anders ausgedrückt: Die Umgebung stört nicht mehr im Geringsten. Sie ist keine Quelle von Ablenkung für den Geist. Dieser Übungsweg führt zur Ruhe im Geist. Es wird ein Zustand etabliert, der nicht mehr so leicht störbar ist.

  • yama (YS 2.29 ff) und niyama (YS 2.40 ff): Unser Denken und Handeln im Umgang mit der Welt und uns selbst ist die Basis für den ruhigen Geist. Sie stehen an erster Stelle des Weges. Dieser Umgang muss die Qualität haben, dass das Ergebnis und unser Erleben unseren Geist  nicht immer wieder von neuem beschäftigt, sondern er mehr und mehr zur Ruhe kommt. Sie sind ein Konzept, den Geist zur Ruhe zu bringen, ihn freier von Ablenkungen werden zu lassen. Erst dann ist dhārana möglich. Sie stehen aus gutem Grund am Anfang des astanga yoga.
  • āsana (YS 2.46/2.47): Die Ruhe im Körper wird durch die Praxis von Bewegungen und Haltungen gefördert. Voraussetzung ist, sie haben die Qualität von sthira und sukha (YS 2.46), von stabil und angenehm, d.h. der Körper kann in der Haltung zur Ruhe kommen. Andernfalls entsteht weitere Unruhe, nicht nur im Körper, sondern auch im Geist. Und der Geist soll auch in den Haltungen schon fokussiert sein, nicht umherschweifen (anantha YS 2.47). Im Mittelpunkt der āsana-Praxis steht nicht der Körper, obwohl es auch im Körper Auswirkungen wie Kraft, Energie oder Entspannung gibt. Die regelmäßige Praxis von dieser Qualität bringt den Geist immer wieder in einen ruhigen Zustand.
  • prānāyāma (YS 2.49-2.51): Der Atem steht in direkter Verbindung zu unserem Geist. Das ist eine vertraute Erfahrung. Deshalb bringt eine regelmäßige Praxis den Geist mehr und mehr in eine Qualität von nirodha. Als Auswirkung von prānāyāma wird in YS 2.52 zunächst beschrieben, dass -metaphorisch- die Hülle die das innere Licht der Erkenntnis verhüllt, reduziert wird. Prānāyāma, der bewusste Atem und die Atemlenkung bewirken eine Reduzierung der klesa. Sie sind mit Hülle gemeint. Als Folge davon, sowohl von prānāyāma als auch der Reduzierung der klesa, kommt der Geist, also unser innerer Zustand der Gedanken und Gefühle zur Ruhe. Es passiert also nicht nur etwas mit dem Atem, sondern es öffnet die Stille im Geist. Es ist ein Prozess des Entdeckens und Enthüllens. Dieser beruhigte Geist ist in der Lage, sich zu fokussieren und zu konzentrieren. Er bleibt stabil bei einem Thema. Das ist der innere Zustand von dhāranā.
  • Dhāranā ist das sechste Glied des achtgliedrigen Yogaweges. Im zweiten Kapitel heißt es über dhāranā: Und (ca) der Geist (manasah) wird fähig (yogyata) still/stabil/fokussiert zu bleiben (dhāranāsu) YS 2.53. Das Wort „und“ bezieht sich auf die vorherigen sutren, den fünf bereits genannten Gliedern. Wenn diese geübt werden erlangt der unruhige Geist die Fähigkeit stabil zu bleiben. Dhāranā ist nicht ein eigenständiges Übungselement wie die anderen Glieder, sondern das Ergebnis der Veränderung der Qualität unseres Geistes durch die intensive Praxis der anderen. Die Fähigkeit des Geistes, die Aufmerksamkeit auszurichten, zu fokussieren und fokussiert zu bleiben ist das Ergebnis der vorherigen Bemühungen. Die genannten Schritte sind erforderlich und Voraussetzung für dhāranā. Weil die Stabilität am Anfang selbst in ruhiger Umgebung nicht von langer Dauer ist, ist am Anfang ein bewusstes Üben und eine Anstrengung notwendig. Im Laufe der Zeit verlängert sich die Dauer der Fokussierung und wird zu einem normalen Zustand ohne Anstrengung. Umgekehrt entwickelt sich auch der Zustand von yama und niyama, des Körpers und des Atems immer weiter von einem unruhigen, leicht zu irritierenden und zu störenden Zustand zu einem Zustand der Ruhe. Gleichzeitig werden die klesa geschwächt. Je schwächer sie werden, desto ruhiger wird der Zustand des Geistes.
  • pratyāhāra YS 2.54/2.55: In der Aufzählung der acht Glieder wird dhāranā an sechster Stelle genannt, nach pratyāhāra. In der Reihenfolge der sutren steht es dann vor pratyāhāra. Was ist der Grund, wenn wir davon ausgehen, dass es so beabsichtigt wurde? Dhāranā ist die erste Stufe von samādhi. Aber um den Zustand stabil zu halten, reichen die Übungen nicht.
    Es fehlt noch etwas Wichtiges: Das Zurückziehen der Sinnesorgane und die Lösung des Geistes von den Sinneseindrücken- genannt pratyāhāra. Was bedeutet dies und warum ist diese Fähigkeit des Geistes so wichtig? Üblicherweise sind unsere Sinnesorgane (indriyānām) immer aktiv, selbst im Schlaf. Sie haben die wichtige Aufgabe, ständig die Umgebung wahrzunehmen, damit wir auf Gefahren reagieren und uns durch Kampf oder Flucht schützen können. Als Menschen mit unseren geistigen Fähigkeiten des Erinnerns und des Vorstellens reagiert unser Geist nicht nur auf die gegenwärtige Situation, sondern versucht auch, Gefahren vorherzusehen und greift auf alte Erfahrungen zurück. Die Folge ist, dass er eine gegenwärtige Situation interpretiert und darauf reagiert mit teilweise (unnötiger) erhöhter Wachsamkeit. Außerdem kann er sich auch unabhängig von der Situation Szenarien ausmalen und ist damit beschäftigt. Kann diese Funktionsweise geändert werden? Solange das Bedürfnis nach außen zu gehen besteht gibt es immer wieder Unterbrechungen und Ablenkungen. Was geschieht, wenn die Sinnesorgane sich nicht permanent nach außen orientieren? Dann können alle still werden und infolge auch der Geist. Wenn der Geist nichts mehr im Außen suchen will, kann er in den Zustand von nirodha kommen. Das innere Bedürfnis, zu wissen, wird reduziert. Dies geschieht jedoch nicht im Sinne von Kontrolle, was selbst eine Aktivität ist, sondern die Sinne und der Geist werden still. Es ist der innere Entschluss, dass der Geist sich weigert, umherzuschweifen.
    Es besteht daher für dhāranā die Notwendigkeit, die Sinne von der Außenwelt nach innen zurückzuziehen (pratyāhāra). Sie wird weiterhin wahrgenommen, denn die Sinnesorgane sind weiter aktiv aber sie beschäftigt den Geist nicht mehr. Die enge Verbindung von Sinnesorganen und Geist wird aufgelöst: asamprayoge cittaya svarupa anukāra / samprayoge=zusammen/ Einheit, asamprayoge= nicht zusammen. Der Geist wird nicht mehr abgelenkt und gestört. Er kann gesammelt und fokussiert bleiben. Er wird frei für ein tieferes Erleben (YS 2.55).

Welche Rolle spielt dhāranā auf dem Yogaweg? Welche Bedeutung hat dhāranā für das Erreichen des Ziels? Für das Ziel?

Dhāranā kommt als einziges der acht Glieder in zwei Kapiteln vor. Sowohl im zweiten Kapitel am Ende als auch zu Beginn des dritten Kapitels wird dhāranā genannt. Welchen Grund hat die doppelte Nennung? Was ist an dhāranā anders als an den anderen Gliedern?

Das sutra über dhāranā (YS 3.1) ist der Anfang des dritten Kapitels über die besonderen Erfahrungen (vibhuti pāda). Die Erfahrungen sind das Ergebnis der intensiven Praxis. Zu dhāranā heißt es: Die Bindung (bandha) des Geistes (cittaya) an einen Ort (desha) wird anhaltende Ausrichtung genannt (dhāranā). Bindung bedeutet, dass der Geist so stabil mit dem Objekt, z.B. dem Atem oder mit dem Thema verbunden ist, dass er sich weder durch äußere noch durch innere Reize ablenken und in seinem Fokus stören läßt. Die Aufmerksamkeit ist ununterbrochen auf einen Punkt ausgerichtet. Die Sinne funktionieren zwar, aber der Geist ist nicht im geringsten daran interessiert. Es ist interessanter nach innen zu schauen. Er ist nun fähig dazu. Dies wird möglich durch pratyāhāra.

Auffällig ist, dass die ersten fünf Glieder im zweiten Kapitel mit der Überschrift sādhana pāda erläutert werden, aber die Glieder sechs bis acht im dritten Kapitel vibhūti pāda. Warum diese Trennung? Sādhana bedeutet Übung, Methode oder Praxis. Deshalb wird dieses Kapitel auch mit Übungs-oder Praxisweg übersetzt. Warum werden die letzten drei Glieder des Yogaweges dhāranā, dhyāna, samādhi in einem anderen Kapitel behandelt? Die Antwort findet sich im YS 3.7: Im Vergleich zu den vorherigen (purvebhyah)- damit wird auf die fünf Glieder yama, niyama, āsana, prānāyāma, pratyāhāra Bezug genommen- werden diese drei (trayam) als da sind dhāranā, dhyāna, samādhi, die inneren Glieder genannt (antaranga, antar=innen).

Die ersten fünf Glieder werden auch als bahiranga (bahir=äußere) bezeichnet. Sie sind die Vorbereitung für den inneren Weg. Sie können geübt werden. Deshalb gehören sie zum Kapitel sadhāna. Sie sind mit einer Aktivität des Geistes verbunden. Sie bereiten den Geist darauf vor still werden zu können. Der große Teil unserer Praxis ist bahiranga-Praxis.

  • Samyama (YS 3.4)

Danach kann der Prozess von samādhi beginnen, der mit dem Sammelbegriff samyama bezeichnet wird und zu dem die letzten drei Glieder des achtgliedrigen Yogaweg, dem astanga, zählen. Samyama beginnt mit dhāranā. Der Geist kann sich für eine lange Zeit fokussieren. Er ist einpunktig (eka-gra). Diese Fähigkeit, sich zu sammeln ist die Voraussetzung, um immer stiller zu werden. Die bewusste Anstrengung, eine Aktivität, die anfangs noch notwendig ist, wird immer geringer und damit der Geist immer stiller. Und deshalb gilt es nicht mehr als Yogapraxis sondern als die erste Stufe von samādhi. Aber diese Stabilität ist noch fragil, noch nicht von Dauer. Es ist der Beginn der subtilsten inneren Reise.


Dhāranā in der Yogapraxis

Auf den ersten Blick kann der Eindruck entstehen, als beziehe sich dhāranā ausschließlich auf die Meditationspraxis. Im dritten Kapitel steht die Fähigkeit zur Konzentration, also ohne Ablenkung den Geist stabil zu halten, als erstes Element. Wenn diese Fähigkeit zur Verfügung steht, kann der Fokus immer länger gehalten werden (dhyāna) und schließlich still bleiben (samādhi).

Nicht nur die Meditation, die das „Herzstück“ des Yoga ist, hat dhāranā zum Thema. Vielmehr steht der ganze Weg von Anfang an unter diesem Motto. Nur wenn jede Art von Praxis mit dem Ziel eines ruhigen Geistes ausgeführt wird, ist es Yoga. Welche anderen angenehmen, gesunden oder sonstigen Vorteile das Ausüben einzelner Elemente noch mit sich bringt, so ist es doch kein Yoga. Alle Elemente (anga) haben die Veränderung des Geistes zum Ziel. Beginnend mit einem manchmal trägen und abwesenden (mudha) oder einem zerstreuten, wandernden, umherschweifenden Geist (ksipta) verändert er sich zunächst zu einem manchmal gesammelten Geist (viksipta). Dieser zu kurzer Fokussierung fähige Geist reicht für unseren Alltag, aber nicht für Yoga. Der Geist muss fähig werden, länger fokussiert zu bleiben (ekāgratā) und letztendlich ganz still (nirodha).

  • āsana

Die Praxis der āsana soll die Qualität von stabil (sthira) und angenehm (sukha YS 2.46) haben. Wenn das Bemühen (prayatna) in die Haltung zu kommen endet, soll die Haltung locker und entspannt (saithilya YS 2.47) sein. Dies bedeutet, den Körper in eine stabile und damit ruhige Haltung zu bringen und zu halten. Es sind körperliche Grenzen zu beachten und es ist eine geschulte Körperwahrnehmung nötig, um dieses Ziel zu erreichen. Dabei spielt der Geist eine große Rolle: Die Aufmerksamkeit ist auf die Haltung des Körpers und die Ausrichtung einer stabilen und angenehmen Form zu halten. Wir kennen es besonders bei Gleichgewichtshaltungen (auf den Fußspitzen, „Baum“, „Held“), dass es umso stabiler wird, je mehr wir konzentriert sind und die Konzentration halten. Auch wenn es in anderen āsana weniger bewusst wird, spielt die Konzentration immer eine Rolle.
Aber nicht nur die Konzentration auf den Körper auch der Fokus auf das „Unendliche“ (ananta YS 2.47) ist Teil der āsana-Praxis, damit sie eine Yogapraxis ist. Zusammen genommen bedeutet dies, dass der Geist zu Beginn der Praxis die Fähigkeit zur Sammlung haben muss bzw. wir bevor wir mit den āsana beginnen, dafür sorgen müssen. Auch während der Praxis soll der Geist stabil bleiben, in einem Zustand von ekagrata und dhāranā.

Das Ergebnis einer solchen Praxis ist ein Geist, der frei ist (anabhighāta) von Störungen (dvandva YS 2.48). Ein solcher Geist ist fähig zur Meditation. Die āsana sind das dritte Glied des astanga yoga vor der Atempraxis (prānāyāma) und vor der Meditation. Sie führen, in Verbindung mit den anderen Gliedern,  zu samādhi- vorausgesetzt, die Praxis entspricht diesen Bedingungen.

  • Die Praxis von dhāranā als erste Stufe der Meditation/samyama

Wenn der Geist durch die Praxis von āsana und prānāyāma vorbereitet und in einem gesammelten Zustand (samahita citta) ist, können wir mit der Meditation beginnen. Dhāranā wird im YS 3.1. beschrieben: desha-bandhah cittaya dhāranā.

  • desha als Ort. Nicht im Yogasutra, sondern in anderen alten Texten über die Meditation wird gesagt, es solle sich um einen möglichst ruhigen, angenehmen und sicheren Ort handeln (z.B. Bhagavadgīta 6.11). Eine ruhige Umgebung, zu der in 21. Jh. auch das Ausschalten der technischen Geräte gehört, erleichtert die Übung, den Geist zu sammeln. Das gehört zu pratyāhāra, dem Zurückziehen der Sinne. Können wir buchstäblich abschalten? Wenn nicht, warum nicht? Was passiert Wichtiges oder Dramatisches, wenn wir eine halbe Stunde nicht erreichbar sind? Sind wir so wichtig, dass wir unverzichtbar sind? Was erzählt unser Ego uns? Der Ort sollte die richtige Temperatur haben und wir den Sitz so einrichten, dass wir in dieser Zeit mühelos aufrecht sitzen können. Dieser Ort ist hier allenfalls indirekt mit desha gemeint. Desha heißt, der Geist bleibt an einem Ort und schweift nicht ab. Insofern bezieht die Aufmerksamkeit auch den Platz, den Ort der Meditation mit ein. Es wird empfohlen immer zur gleichen Zeit zu meditieren, was unsere Hirnforschung bestätigt. Auch sollte man ausgeruht sein, weil es sonst anstrengend ist, sich zu konzentrieren und der Geist dann nicht zur Ruhe kommen kann oder man einschläft.
  • Desha als Objekt oder Thema. In diesem Sinne wird der Begriff auch übersetzt. Der Geist ist noch nicht absolut still. Er braucht noch ein Objekt, an dem er sich festhalten kann. Und er ist in der Lage, länger bei diesem Objekt zu bleiben. Das ist bereits ein wichtiger Schritt. Dieses Objekt kann im Außen sein oder innen.
    Das wichtigste Objekt ist das Selbst, aber zu Beginn der Praxis zu schwierig. Deshalb raten alte Texte zu anderen Objekten. Das Yogasutra beschreibt im ersten Kapitel grundsätzliche Meditationsobjekte, die sich auch in unseren Kursen und Büchern wiederfindet:
    YS 1.28: Das Wiederholen von spirituellen Silben, Worten oder Texten. Dies wird japa genannt. In den alten Texten (upanishaden) werden das OM, der Name Gottes (isvara), Mantren oder auch Sutren rezitiert oder als Kirtan gesungen. Wir können entsprechende Worte oder Texte in unserer Sprache und aus unserem Kulturkreis verwenden.
    YS 1.33: Die bhāvanaGefühle von Liebe (maītri), Mitgefühl (karunā), Mitfreude (mudita), Verständnis/Verzeihen (upeksa). Wir kennen diese Gefühle und können uns daran erinnern. Wenn wir in der Meditation mit diesen unseren ursprünglichen Gefühlen in Verbindung kommen, wird der Geist ruhig. Gefühle aus den klesa, wie wir sie aus dem Alltag kennen wie Angst, Frustration oder Wut machen den Geist unruhig und sind nicht hilfreich.
    YS 1.34: Der Atem-die Meditation auf den Ausatem und die Atempause beruhigt den Geist. In späteren Texten wie der Hatha Pradipika werden Atemtechniken und Übungen beschrieben. Allerdings stehen diese Übungen dort nicht im Zusammenhang mit der Meditation, sondern sind Reinigungsübungen für den Geist. In der Tat wirken die Techniken auf den Körper (Druckverhältnisse in den Atemräumen, Zusammensetzung von Sauerstoff und Kohlendioxid, Herztätigkeit, Blutdruck) und auf das Nervensystem und damit auf die Psyche. Indem sie auf die Psyche wirken, wirken sie auf die Gedanken und Gefühle und können sie ruhiger werden lassen. Sie unterstützen die Fähigkeit von dhāranā. Das Yogasutra kennt diese Techniken nicht, sondern fokussiert den Geist und die Wahrnehmung auf den Ausatem und die Pause.
    YS 1.35: Die Konzentration auf die inneren Prozesse. Die inneren Prozesse sind Gedanken, Gefühle, Gewohnheiten, die klesa. Indem wir diese inneren Prozesse auftauchen lassen ohne sie zu bewerten können wir sie erkennen. Diese Erkenntnisse lösen dann (Selbst-) Täuschungen (avidyā) auf und wir werden freier davon. Diese Art der Meditation wird in anderen Texten vipassana genannt.
    YS 1.36: Die Konzentration auf das „innere Licht“ -jyoti. Das Licht ist das Synonym und die Metapher für Erkennen. Wir kennen die Redewendung „mir ist ein Licht aufgegangen“, d.h. wir haben etwas erkannt und deshalb verstanden, neues Wissen gewonnen. Das verändert unser Denken, unsere Einstellung und unser Handeln. In der Hatha Pradipika gibt es die Übung tratak. Tratak ist das Fokussieren auf eine Kerze und auf das innere Bild.
    YS 1.37: Die Meditation auf weise Menschen und deren Biographien, die Vorbild sein können. Von ihnen können wir lernen, wie wir Krisen bewältigen und den Weg von samādhi gehen können.
    YS 1.39: Hier gibt der Text den Hinweis, dass wir ein Objekt wählen sollen, was wir mögen (abhimata). Es ist klar, dass es ein Objekt sein sollte, mit dem wir uns gern beschäftigen, denn nur so kann der Geist zur Ruhe kommen. Wenn wir uns auf etwas Unangenehmes fokussieren, aktivieren wir den Geist. Gleichzeitig eignet sich dieser Vorschlag für alle Menschen in allen Zeiten, Gesellschaften und Religionen. Das Yogasutra ist damit zeitlos und konfessionslos. Wir können unsere Worte und Sprache benutzen. Jeder und jede kann ein Objekt finden.
    Über diese allgemeinen Beschreibungen hinaus werden im dritten Kapitel des Yogasutra eine Vielzahl von Objekten (YS 3.23-3.42) genannt und auch die besonderen Ergebnisse einer intensiven Praxis, die siddhis beschrieben. Deshalb heißt das Kapitel vibhuti pāda- die besonderen Erfahrungen. Diese sind mit unserem Alltagsgeist und ohne Übung nicht möglich. In anderen Texten wird die Meditation auf die Nasenspitze oder den Punkt zwischen den Augenbrauen vorgeschlagen.
  • bandha-desha. Bandha bedeutet Bindung oder Grenze. Es ist erforderlich, den Geist nicht nur auf ein Objekt zu richten, sondern ihn dort „zu binden“ oder an das Objekt zu binden. Gemeint ist, dass die Aufmerksamkeit, die wir auf ein Objekt richten, dort auch länger bleibt und sich nicht ablenken läßt. Wir binden die Aufmerksamkeit sowohl an den Ort, an dem wir sind und wandern nicht gedanklich an andere Orte (Büro, Strand…) als auch bei dem Thema. Auch hier ist desha der Ort, nämlich im Hier und Jetzt. Wir wollen im Hier und Jetzt sein und eben nicht in die Zukunft und in die Vergangenheit gehen, sondern beobachten was ist. Wir setzen den Aktivitäten des Geistes -zumindest am Anfang- Grenzen. Das ist dhāranā: desha-bandhah cittaya (Citta-Geist) dhāranā.

Für den achtgliedrigen Weg und damit auch für dhāranā ist eine regelmäßige und intensive Praxis notwendig:

  • Abhyāsa YS 1.12/1.13

Damit wird klar, warum im ersten Kapitel über samādhi das ununterbrochene, ständige, ausdauernde, beharrliche Bemühen, abhyāsa, erwähnt wird. Abhyāsa entsteht aus dem Verständnis über die Notwendigkeit, dass das Ziel nur mit Beharrlichkeit erreicht werden kann. Fehlschläge und Rückschritte werden als Teil dieses Prozesses akzeptiert. Im YS 1.30 werden neun Hindernisse, antarāya vorgestellt mit denen zu rechnen ist und im zweiten Kapitel die klesa. Sie werden nicht zu einer Blockade. Wir werden von ihnen nicht niedergedrückt oder überflutet. So ist abhyāsa zu verstehen.

Abhyāsa ist nicht eine Pflicht oder eine Disziplin, die Praxis zwanghaft gegen den inneren Willen auszuüben. Es geht nicht um Kontrolle oder darum, mit Ehrgeiz ein Ziel zu erreichen. Nur mit Willenskraft, die im übrigen ein Ausdruck des Ego und der klesa ist, werden Widerstände erzeugt. Diese Widerstände werden zu Blockaden in dem Prozess. Yoga ist das zur Ruhe kommen des Geistes- nirodha YS 1.2, also das genaue Gegenteil. Dieser Zustand soll das Ergebnis von abhyāsa sein: abhyāsa vajrāgyābhyam tat (gemeint ist der Geist) nirodhah (YS 1.12). Verständnis führt zur Ruhe, Widerstand hingegen beschäftigt den Geist, den Körper (Anspannungen, Puls) und den Atem. Das kann also nicht damit gemeint sein. Im zweiten Kapitel wird der Weg konkretisiert und was mit dem Bemühen gemeint ist, welche Art von Bemühungen es sind.

Mit abhyāsa verändern wir die Funktionsweise unseres Geistes. Jede Erfahrung hinterläßt einen Eindruck im Geist. Wenn dieser Eindruck im Unbewussten gespeichert ist, werden diese Eindrücke samskāra genannt. Abhyāsa hinterläßt mit jeder Praxis einen neuen Eindruck und wir erzeugen bewusste und erwünschte neue samskāra. Die alten samskāra aus den klesa werden nicht gelöscht, aber sie verlieren immer mehr ihre Wirkung und die neuen überlagern die alten Eindrücke. So verändert sich unser Geist von einem unruhigen zu einem ruhigen und zu dhāranā fähigem Geist.


  • Dhāranā im Alltag

Der Alltag vieler Menschen ist vom Multitasking geprägt. So glauben wir schneller und effektiver zu sein obwohl die Hirnforschung diese Annahme mittlerweile widerlegt hat. Aber es wird nach wie vor von uns erwartet. Dhāranā ist das Gegenteil und deshalb eine Umstellung.

Durch die regelmäßige und intensive Praxis auf der Matte verändern wir die Qualität der Funktionsweise unseres Geistes. Da wir im Alltag denselben Geist benutzen, werden wir die Veränderung im Laufe der Zeit auch im Alltag spüren: Wir regen uns nicht so schnell auf, sondern halten inne. Wir fühlen uns insgesamt entspannter und zuversichtlicher und sind anderen gegenüber freundlicher weil Ängste verschwinden und reflektiertes Handeln Fehler vermeidet. Wir durchschauen unsere Täuschungen und Illusionen, weil wir die Gegenwart bzw. die Realität bewusst erleben und sind weniger frustriert und enttäuscht. Wir können uns besser konzentrieren und erleben mehr Freude und Erfüllung in dem was wir tun. Und nur so, wenn wir nicht blind funktionieren, können wir uns selbst verwirklichen. Wir sind zufriedener, weil wir wieder das Schöne wahrnehmen und genießen können. Es ist eine Quelle geistiger Kraft.

Wenn wir gezielt auch im Alltag versuchen, uns zu fokussieren, verstärken wir diese Wirkung deutlich und müssen nicht warten, bis die Wirkung dort ankommt. Dazu braucht es den bewussten und festen Entschluss, den Geist an den Ort und an das Objekt zu binden, wie es im Yogasutra heißt. Und das ist im Alltag schwieriger. Aber schwierig ist nicht unmöglich, wie Dr. Shrikrishna immer wieder betont.

Der Alltag ist voller Übungsmöglichkeiten für dhāranā. Alle täglichen Aufgaben wie Zähneputzen, Kochen, Essen, Putzen sind geeignet. Der Fokus ist ausschließlich bei der jeweiligen Aufgabe: Ich koche etc. und ich weiß, dass ich koche. Das ist desha-bandha. Die Tätigkeit bekommt darüber hinaus eine andere Wertigkeit. Das was ich tue bekommt eine Bedeutung und einen Wert. Und damit bekommt dann auch das ganze Leben einen Wert. Es wird nicht mit unbedeutenden Dingen verschwendet. Das verändert die innere Einstellung, schenkt Zufriedenheit und Glück.

Der buddhistische Mönch Thich Nhat Hanh (1926-2022)  sagte:
„Wenn man abwäscht, sollte man nur abwaschen, das heißt, man sollte sich dabei völlig bewusst sein, dass man abwäscht. Auf den ersten Blick mag das ein wenig albern erscheinen. Warum sollte man solches Gewicht auf eine so einfache Sache legen?
Aber das ist genau der Punkt: Die Tatsache, dass ich hier stehe und diese Schalen abwasche, ist eine wunderbare Wirklichkeit. Ich bin völlig ich selbst, folge meinem Atem und bin mir meiner Gegenwart, meiner Gedanken und Handlungen bewusst. Ich kann so unmöglich unbewusst umhergeschleudert werden wie eine Flasche, die von den Wellen hin und her geworfen wird.Es gibt zwei Arten, Geschirr zu spülen. Einmal, damit man hinterher sauberes Geschirr hat, und die zweite Art besteht darin, abzuwaschen, um abzuwaschen.“

Er lehrte auch die Tee- und die Gehmeditation. Die Gehmeditation können wir jederzeit im Alltag üben. Zu meditieren bedeutet nicht, dass man langsam gehen muss, man kann auch schnell gehen und meditieren.

Einen besonderen Gewinn ist dhāranā für Gespräche. Die Aufmerksamkeit ist ausschließlich bei den/dem anderen Menschen und sich selbst. Alles andere, was davon ablenken könnte ist ausgeschaltet. Es ist nicht wichtig, was in der Umgebung geschieht, z.B. wer kommt und geht und natürlich ist auch das Smartphone ausgeschaltet. Erst dann kann man sich wirklich mit dem anderen Menschen verbinden, ihn wahrnehmen und in Kontakt gehen. Sich selbst muss man wahrnehmen, um zu erkennen, wann die Aufmerksamkeit nachläßt, weil man gedanklich mit einer Antwort oder Erwiderung beschäftigt ist. Ein solches Gespräch führt dann manchmal zu Pausen, weil man den anderen ausreden läßt um nichts zu verpassen und erst dann anfängt zu denken.

Das ist der große Wert der langen Aufmerksamkeitsspanne, die am Anfang genannt wurde. Die Dinge bekommen wieder einen Wert. Die Menschen und ihre Leistung, die in allen Dingen, ob virtuell oder materiell steckt bekommt wieder Wertschätzung. Das gilt auch und besonders für die zwischenmenschlichen Kontakte. Und es gilt für die Natur.


Dhāranā bedarf am Anfang der Übung und der Geist ist noch nicht lange stabil, weshalb es auch zum Übungsweg gehört. Durch das Üben des ganzen Weges gibt es eine große Veränderung in der Qualität des Geistes. Diese Veränderung bringt im Alltag einen großen Gewinn und ist für den Yogaweg unerläßlich. Hier beginnt der Weg der Meditation, der subtilen Reise in das Innerste und darüber hinaus.